Rede auf dem Symposium zum Humboldt-Forum (8.-10. September 2006)
Die Humboldt-Universit?t im Humboldt-Forum
Mein Beitrag über ?die Humboldt-Universit?t im Humboldt-Forum“ beginnt, meine sehr verehrten Damen und Herren, scheinbar sehr allgemein und grunds?tzlich, um freilich unmittelbar danach auf die spezifische Berliner Situation, den zentralen Platz in der Stadtmitte und das Humboldt-Forum enggeführt zu werden. Ich habe diesen eher grunds?tzlichen Zugang zu meinem Thema gew?hlt, da vor reichlich zwei Wochen ein kluger Beobachter der Berliner Kulturszene in einer gro?en Tageszeitung knapp bemerkt hat, da? die Initiatoren des künftigen Forums ?von den Staatlichen Museen und der Humboldt-Universit?t der ?ffentlichkeit“ ihre Idee ?noch nicht recht vermitteln“ k?nnten. Heinrich Wefing schrieb in der ?Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: ?Immer wieder ist lediglich vage von einem Ort der Begegnung der Weltkulturen, der Symbiose von Kunst und Wissenschaften die Rede. Das klingt nicht schlecht, hat auch l?ngst den Segen des Bundestages erfahren, vermag aber nicht recht zu begeistern. Und sieht … reichlich bla? und brav aus“[1]. Weil der neue Pr?sident der Humboldt-Universit?t zu Berlin Wefing in dieser M?ngeldiagnose weitgehend zustimmen mu? und sie keineswegs allein auf die Tatsache zurückführt, da? der im n?mlichen Feuilleton-Beitrag ungleich positiver referierte Alternativvorschlag zur Zwischennutzung von Florian Illies unterstützt wird, weil das bisherige Konzept des Humboldt-Forums aus meiner Universit?t tats?chlich eine stark ausbauf?hige Skizze darstellt und offensiver in der ?ffentlichkeit diskutiert werden mu?, freue ich mich über die heutige Gelegenheit, beides jedenfalls ansatzweise zu tun.
Zun?chst zum Grunds?tzlichen: Die Humboldt-Universit?t zu Berlin sieht im geplanten Humboldt-Forum die einzigartige Chance, einen grundlegenden Mangel des deutschen Universit?tsbetriebs dadurch zu beheben, da? sie im Vorfeld ihres zweihundertj?hrigen Jubil?ums an Ideen ihrer Gründerv?ter für eine besondere Form der Wissensvermittlung in der ?ffentlichkeit anknüpft. Nahezu alle deutschen Universit?ten – und leider meist auch die Humboldt-Universit?t, das 1810 gegründete ?Original der modernen Universit?t“ – treten heute für gew?hnlich mit dem unter ihren D?chern erarbeiteten Wissen in zwei Formen an die ?ffentlichkeit: Sie produzieren entweder Texte in Form h?ufig nur schwer lesbarer Abhandlungen oder oft wenig unterhaltsamer Vortr?ge und Referate, oder sie entwickeln medizinische und technische Produkte, die von jedermann im Alltag verwendet werden, die aber niemand mehr mit einer Universit?t in Verbindung bringt. Ob aber in gegenw?rtigen Zeiten medialer Massenkommunikation eine solche traditionelle, rein text- und sprachorientierte Vermittlung nicht vollkommen an den Bedürfnissen und Gewohnheiten weiter Bev?lkerungskreise vorübergeht? Entsprechend niedrig ist daher in aller Regel die ?ffentliche Aufmerksamkeit für Wissenschaft und entsprechend angestrengt verlaufen alle Bemühungen um – heutigentags selbstverst?ndlich englisch formuliert – public understandig of science, die entsprechenden Initiativen von Bundes- und Landesministerien, dem Stifterverband und vergleichbaren Initiativen. Man k?nnte für viele dieser Initiativen (natürlich nicht für alle) durchaus noch einmal Wefings Worte bemühen: ?reichlich bla? und brav“. Die Gründerv?ter der Berliner Universit?t haben ein viel umfassenderes Konzept der ?ffentlichen Wissensvermittlung entworfen und vor allem durch die Gründung von Friedrich-Wilhelms-Universit?t und Altem wie Neuem Museum, aber nicht durch diese Akte allein in die Tat umzusetzen versucht. Es geh?rt ein Stück weit zu den gew?hnlichen Schicksalen jeder Reform, da? diese Aufbrüche im sprichw?rtlichen brandenburgischen Sand stecken blieben, bereits im neunzehnten Jahrhundert in Vergessenheit geraten sind und ihre Reste durch die vollst?ndige Zerschlagung der Berliner Wissenschaftslandschaft nach 1933 und 1945 weitgehend zerst?rt wurden. Das Humboldt-Forum bietet eine Chance zu einer zeitgem??en Erneuerung dieser Ideen, von denen nun kurz die Rede sein soll.
Wilhelm von Humboldt hat seinem K?nig bekanntlich in sehr knappen, aber auch pr?zisen Memoranden 1809 vorgeschlagen, eine Universit?t einzurichten, und im Jahr darauf die Errichtung eines Museums in Berlin[2]. Dabei ist überaus auff?llig, da? in dem kurzen Text über die Universit?t bereits deren ?naturhistorische und Kunst-Sammlungen’ als integraler Bestandteil der neuen Einrichtung erw?hnt werden und in dem Text über das Museum eine ?Gallerie ausgew?hlter Bilder“ im Universit?tsgeb?ude[3]. Horst Bredekamp hat die neue Universit?t sogar etwas zugespitzt ein ?Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“ genannt[4]; in jedem Fall vermittelte die neue Berliner Universit?t ihr Wissen nicht nur – wie ihre heutigen Nachfolger – durch Vorlesungen und Seminare, Vortr?ge und Symposien an die ?ffentlichkeit, sondern setzte bewu?t Objekte ihrer Sammlungen zu diesem Zweck ein – und umgekehrt pr?sentierte das Museum nicht einfach Objekte seiner Sammlungen, sondern belehrte sein Publikum bewu?t: ?Erst erfreuen, dann belehren“, lautet die von Karl Friedrich Schinkel durchaus im Geist Humboldts formulierte Maxime[5] und die Planungen Friedrich Wilhelms IV. und Friedrich August Stülers von 1841 sehen bekanntlich als ?Freist?tte für Kunst und Wissenschaft“ ein hohes, tempelartiges Geb?ude vor, ?welches in zwei unteren Geschossen H?rs?le, im obersten eine gro?e Aula enthalten sollte“ (Johann Heinrich Strack hat es über zwanzig Jahre sp?ter in stark ver?nderter Gestalt als Nationalgalerie mit einem gro?en Saal für die Cornelius-Kartons ausgeführt)[6]. Es fehlt hier die Zeit, die theoretischen Wurzeln dieser engen Verbindung von Museum und Universit?t, der unmittelbaren Einheit von Text und Objekt in der Bildungskonzeption bei Humboldt ausführlicher darzustellen, für heute mu? ein Hinweis auf das bereits sehr früh ausgepr?gte Interesse des kurzzeitigen Sektionsdirektors für Kultus und Unterricht an der Mannigfaltigkeit der verschiedenen Individuen und ihrer Einbildungskraft ausreichen, der ein Interesse an der ?harmonischen Ausbildung aller F?higkeiten“ in den Bildungseinrichtungen korrespondiert[7]. Wichtig ist aber der Hinweis, da? die Vorstellung einer solchen überaus engen Einheit von Text und Objekt, von Lehrhaus und Sammlung, von Museum und Universit?t, sich schon reichlich hundert Jahre vorher bei Gottfried Wilhelm Leibniz findet, freilich mit deutlich anderer Zielsetzung als bei Humboldt. Leibniz hat in seiner Denkschrift zur Errichtung einer Akademie der Wissenschaften an den brandenburgischen Kurfürsten vom M?rz 1700 für die dort zu pflegende Form einer auf die Praxis ausgerichteten Wissenschaft ?Bibliotheken, Iconothecae (oder Collectanea von Kupferstücken, Ri?en, Bildungen und Gem?hlden), Kunst und Rarit?tenkammern, Zeug- und Rüsth?user, G?rten vieler Art, auch Thierbeh?ltnisse und die gro?en Werke der Natur und Kunst selbsten“ für n?tig gehalten, kurz – wie er schreibt – ein ?Theatrum Naturae et Artis“[8]. Leibniz ging es bei einer solchen Forderung, die in der 1703 gegründeten k?niglich preu?ischen Akademie der Wissenschaften schon aus Kostengründen nur ansatzweise realisiert wurde, weniger – wie Humboldt um eine der Mannigfaltigkeit der Wissenschaft angemessene Pr?sentation derselben – als vielmehr um Forschungsmittel für eine für praktische Projekte wie die Missionierung Chinas und Abhilfe gegen Wassersch?den geeignete praxisorientierte Wissenschaft (theoria cum praxi)[9]. Entsprechend bestimmt das ?Statut der K?niglichen Societ?t der Wissenschaften“ vom Juni 1710, da? ?nebst einer ausbündigen, zu ihrem Zweck eigentlich geh?rigen Bibliothec, auch ben?tigten mathematischen Instrumenten ein anseliger Vorrath an curiosen Naturalien ex omni regno sowoll, al? an künstlichen Erfindungen neuer Maschinen und derer Modellen und anderen mechanischen Raritaeten, also ein Thesaurus naturae et artis zusammengebracht“ werde und so ?die Geheimnisse der Natur durch … Experimenta … erforschet würden“[10]. n Leibniz über Humboldt bis hin zum K?nig Friedrich IV. führt eine – wenn ich so sagen darf – Berliner Linie der Wissensproduktion und Wissensvermittlung, in der Text und Objekt, Lehrhaus und Sammlung, Museum und Universit?t eine ebenso organische wie organisierte Einheit bilden, weil sie auch in der Forschung ebenso wie in der Lehre zusammengeh?ren.
Selbstverst?ndlich w?re es ?reichlich bla? und brav“, wenn das Konzept des Humboldt-Forums nur darin bestünde, eine traditionelle Berliner Idee von einheitlicher Wissensproduktion wie Wissensvermittlung als Reflex einer bestimmten Forschungspraxis zu repristinieren, eine traditionelle Idee, die sich sowohl in der Preu?ischen Akademie der Wissenschaften, wie in der Berliner Universit?t und in den Berliner Museen meist aus Kostengründen nur ansatzweise realisieren lie?: In der Akademie reichte es nur für eine Sternwarte, eine anatomische und Naturalien-Sammlung. Die der Universit?t im September 1810 als Morgengabe gegebenen mineralogischen, zoologischen und anatomischen Stücke und Pr?parate der k?niglichen Kunstkammer[11] wurden vor den entsprechenden Neubauten am Ende des neunzehnten Jahrhunderts oft nur wenig sachgerecht aufbewahrt – so beschwerte sich 1869 der Rektor der Universit?t, da? er auf dem Weg zur Aula im Mittelteil des Hauptgeb?udes an einem ausgestopften Walro? nicht vorbeigekommen sei[12] und die an die Stelle der gro?en Aula der Stüler-Planung getretenen Haupts?le des Strack-Baus der Nationalgalerie für die Cornelius-Kartons wurden bald in kleinteiligere Sammlungsr?ume umgebaut. Nein, die traditionelle Berliner Idee scheint mir, zeitgen?ssisch interpretiert, eine vorzügliche Strategie, die bekannten Defizite von Universit?t (und darf ich sagen: Museum?) bei der Kommunikation von Wissen in Berlins Mitte modellhaft zu beheben. Die traditionelle Kombination von Text und Objekt, von Lehrhaus und Sammlung, von Museum und Universit?t – mu? wenigstens zeichenhaft erg?nzt werden durch ausgew?hlte Formen der Praxis von Wissenschaft, die im Humboldt-Forum inszeniert werden: Ich nenne beispielhaft Aufführungen griechischer Dramen durch Studierende der klassischen Philologie, ausgew?hlte Experimente zur lichtgestützten Materialforschung durch die Dozenten der naturwissenschaftlichen Institute, interaktive Sonderausstellungen in der Art amerikanischer Science-Museen wie die gro?e Einstein-Ausstellung der Max-Planck-Gesellschaft im letzten Jahr. Nur so kann das, was heute (beispielsweise in Papieren der europ?ischen Gemeinschaft) als ?Dreieck des Wissens“ (oder eben: Triangel of Knowledge) bezeichnet wird, Forschung, Ausbildung und Innovation, angemessen realisiert und inszeniert werden, nur so kann eine h?ufig verschlossene Universit?t gegenüber der Gesellschaft verantwortlich ge?ffnet werden.
Konkret bedeutet dies für den Beitrag der Humboldt-Universit?t im Humboldt-Forum: Wir beabsichtigen schon aus Raumgründen nicht eine (gar vollst?ndige) Ausstellung unserer universit?ren Sammlungen, beispielsweise also von magazinierten Best?nden des Naturkundemuseums, der zoologischen Lehrsammlung, des Lautarchivs, der diversen arch?ologischen Sammlungen oder des (weitgehend im Museum für Technik aufbewahrten) Meereskundemuseums[13], sondern eine Inszenierung von Wissenschaft mit Hilfe von einzelnen Objekten und Objektgruppen der Sammlungen, die so weit als m?glich auf die übrigen im Humboldt-Forum pr?sentierten Wissensbest?nde au?ereurop?ischer Kulturen bezogen sind. Auf diese Weise werden die musealen und bibliothekarischen Pr?sentationen der Stiftung Preu?ischer Kulturbesitz erg?nzt und vertieft; so bilden beispielsweise einzelne naturkundliche Sammlungskomplexe der Universit?t eine vorzügliche Erg?nzung zu den Best?nden des Ethnologischen Museums und sollten in Wechselausstellungen so gemeinsam ausgestellt werden, wie dies schon in einigen gemeinsamen Projekten – ich nenne die Ausstellung ?Natur als Vision – Meisterwerke der englischen Pr?raffaeliten“ (Sommer 2004) und die jüngst abgebaute Ausstellung ?Der Ball ist rund. Kreis, Kugel, Kosmos“ (Sommer 2006) – seit einiger Zeit realisiert worden ist.
Soweit zum Grunds?tzlichen. In einem zweiten Abschnitt m?chte ich diese grunds?tzlichen ?berlegungen nun noch st?rker auf das von Klaus-Dieter Lehmann inaugurierte Konzept des Humboldt-Forums und seinen historischen Ort in der Stadtmitte Berlins beziehen. Denn eine enge Verbindung von Wissensproduktion und Wissensvermittlung in der beschriebenen und zeitgen?ssisch interpretierten Berliner Tradition k?nnte man an diversen Stellen realisieren, beispielsweise – um nur ein Beispiel zu nennen – im historischen Postfuhramt in Berlin-Mitte. Zur Idee des Humboldt-Forums am Standort des ehemaligen Berliner Stadtschlosses geh?rt daher unabdingbar die Pr?gung aller dort realisierten Aktivit?ten durch die Begegnung mit den au?ereurop?ischen Kulturen, denn auf diese Weise wird die n?rdliche Museumsinsel als Ort der Pr?sentation abendl?ndischer, im Wesentlichen alteurop?ischer Kulturen (daran ?ndert auch das Museum für islamische Kunst zun?chst nichts) durch einen Ort für die andere H?lfte der bewohnten Welt erg?nzt – etwas flapsig gesprochen, die relativ enge Weltsicht des gern auf Humboldt zurückgeführten deutschen humanistischen Gymnasiums durch die tats?chliche Weite des Weltzugriffs der Gebrüder Humboldt erg?nzt. Dafür ist der Schlo?platz ohne Zweifel der angemessene Ort.
Auch für diese Idee der Erg?nzung alteurop?ischer Sichtweisen durch die au?ereurop?ischen Kulturen k?nnte zun?chst wieder eine ausführliche historische Genealogie geliefert werden, die wieder mit Leibniz einsetzt: Mit besonderer W?rme hat der Gelehrte dem Kurfürsten vorgeschlagen, in das Zentrum der Aktivit?ten der zu gründenden Akademie eine Mission nach China, Indien und Persien zu stellen – zu einen, um diese Menschen zu einem evangelischen Christentum zu bekehren, dann aber auch, damit ?dadurch ein Commercium nicht nur von Waaren und Manufacturen, sondern auch von Licht und Weisheit mit dieser gleichsam andern civilisierten Welt und Anti-Europa einen Eingang finden dürfte“ [14]: Leibniz wollte Europas Licht und Weisheit durch Anti-Europas Licht und Weisheit bef?rdern – und man mu? ja nur einen kurzen Blick auf die chinesische Kultur werfen, um die Charakterisierung ?Anti-Europa“ nicht für vollends absurd zu halten. Von da aus w?re eine solche Linie wieder weiter über Wilhelm von Humboldt zu führen, wobei ich jetzt nicht an seine in der Akademie vorgetragenen Bemerkungen ?Ueber den grammatischen Bau der chinesischen Sprache“ von 1826 denke[15], sondern seinen in der Abhandlung über das vergleichende Sprachstudium von 1820 entfalteten Gedanken, man ben?tige zu Vergleichszwecken Sprachstudien über au?ereurop?ische Weltheile, beispielsweise den (mittel-)amerikanischen, ?von dem es sogar zweifelhaft ist, ob er jemals mit anderen in Verbindung gestanden hat“, oder ?Ueber die Sprachen der Südseeinseln“[16]. Sprache diente Humboldt als Schlüssel zur Erkenntnis der Individualit?t von Menschen, der ?Verschiedenheit der K?pfe“ und ?wie sich die Welt in verschiedenen Individuen spiegelt“, wie Jürgen Trabant jüngst einfühlsam nachgezeichnet hat[17]; man k?nnte beispielhaft auf das nach lange nach Humboldts Tod ver?ffentlichte Fragment ?Inwiefern l??t sich der ehemalige Kulturstand der eingeborenen V?lker Amerikas aus den ?berresten ihrer Sprache bestimmen?“ hinweisen, um die – modern gesprochen – neben allem sprachphilosophischen Interesse leitende kulturwissenschaftliche Abzweckung dieser sp?ten Studien Humboldts wenigstens knapp anzudeuten. Von hier aus führt der Weg über die Etablierung der verschiedenen Regionalwissenschaften an der Berliner Universit?t, beispielsweise dem 1887 gegründeten Seminar für Orientalische Sprachen, und dem heutigen Ethnologischen Museum, dem einstigen Museum für V?lkerkunde, zu gegenw?rtigen Initiativen zur Vernetzung der Berliner Regionalwissenschaften in der Berlin-Brandenburgischen Akademie und am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Für die au?ereurop?ischen Regionalwissenschaften an der Berliner Universit?t war und ist – wie man am erw?hnten Seminar für Orientalische Sprachen, dem heutigen Institut für Asien- und Afrikawissenschaften paradigmatisch sehen kann – charakteristisch, da? der Zugang zur Kultur der au?ereurop?ischen Welt in Humboldts Sinne über die Sprache erfolgt[18]: So begann beispielsweise die ethnologische Erforschung einer bestimmten Gruppe südafrikanischer Ureinwohner durch den Berliner Professorensohn Wilhelm Heinrich Immanuel Bleek (1827-1875) mit vergleichenden Studien zu den damals ?Hottentotten- und Bantu-Sprachen“ genannten afrikanischen Sprachen[19], Studien, die durch die Professoren Richard Lepsius[20] und Rudolf Virchow [21] inspiriert waren wie begleitet wurden, also durch Professoren, die freilich neben der universit?ren Lehre auch den Aufbau von bis heute bestehenden Museen der Stiftung preu?ischer Kulturbesitz betrieben. Natürlich mu? endlich auch Alexander von Humboldt genannt werden, der seine ?Geschichte der Erkenntni? des Weltganzen“, die er unter dem Titel ?Geschichte der physischen Weltanschauung“ im zweiten Band seines ?Kosmos“ 1847 entfaltet, ebenfalls ?die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel“ bezeichnet[22] und programmatisch eine Spaltung von Geistes- und Naturwissenschaften bei der Erforschung des Kosmos zurückweist.
Ich breche an dieser Stelle den historischen Durchgang ab, würde er doch zu einer Wissenschaftsgeschichte der Regionalwissenschaften in Berlin in nuce führen, die für unseren Zweck wenig befriedigend w?re. Mir scheint besser, an dieser Stelle kurz die elementare Gegenwartstauglichkeit, ja Gegenwartsrelevanz solcher Einsichten festzuhalten. Denn die traditionelle Berliner Idee, durch einen bewu?ten, bei der Sprache beginnenden Blick auf das – mit Leibniz gesprochen – Anti-Europ?ische ?Licht und Weisheit zu bef?rdern“, das Verst?ndnis fremder Kulturen in einem ganz elementaren Sinne zu erm?glichen, gewinnt in einer globalisierten Welt mit ihren drohenden oder bereits stattfindenden clashes of civilizations elementare Bedeutung: Hier sind Universit?t, Museum und Bibliothek gemeinsam gefordert, um die notwendige interkulturelle Kompetenz bereitzustellen, natürlich gemeinsam mit anderen Berliner Einrichtungen, beispielsweise dem ?Zentrum Moderner Orient“ oder dem ?Haus der Kulturen der Welt“ und natürlich mit den einschl?gigen Botschaften und Kulturinstituten. Ich gebe gern zu, da? für eine solche, auf die St?rkung interkultureller Kompetenz ausgerichteten Pr?sentation die klassischen Regionalwissenschaften der Universit?t durchaus ihre transregionale Dimension und Vernetzungen noch erheblich steigern müssen und neue Formen der Vermittlung entwickeln müssen. Sicher ist aber, da? die Staatlichen Museen hier die Universit?ten in einem ganz elementaren Sinne brauchen, damit ihre ausgestellten Objekte nicht tot bleiben.
Ich komme zum Schlu?, führe das Gesagte nun nochmals ein Stück enger und konzentriere mich auf die heute thematisierte Frage der Rekonstruktion des zerst?rten und gesprengten Berliner Stadtschlosses. Mir ist durchaus deutlich, da? die Rekonstruktion einer bedeutenden Barockfassade, die Wiedergewinnung einer stadtbildpr?genden Kubatur mit der Idee eines Humboldt-Forums in einer gewissen Spannung steht – wieder etwas flapsig gesprochen: Die Lustgartenfront wird durch zwei Portale gegliedert, die für die Architektur eines rekonstruierten Baus allein wegen ihrer Beziehung auf die Linden unverzichtbar sind. Und im Inneren gehen durch den Lustgartenflügel ohne jede Untergliederung gro?e Hallen für eine moderne Museumspr?sentation, die im Grunde keine Fenster br?uchten. Und eine Rekonstruktion der einst hinter den Portalen befindlichen bedeutenden R?ume – ich nenne nur den Rittersaal – steht zur Idee des Humboldt-Forums scheinbar in nicht unerheblicher Spannung. Aber er steht nur dann in Spannung, wenn die historischen Linien, die auf das gegenw?rtige Konzept des Humboldt-Forums führen, in geschichtsloser Geistvergessenheit ausgeblendet werden. In Schlüters Rittersaal fanden sich über den Portalen der Ostwand als Bekr?nungen bekanntlich die Erdteile Amerika und Asien und auf der gegenüberliegenden Wand Europa und Afrika. Goerd Peschken hat in einer einfühlsamen Beschreibung der Reliefs formuliert, da? am meisten an ihnen berühre, ?da? Schlüter sie ohne europ?ische Arroganz und ?berlegenheitsgefühl“ geschaffen hat und die fremden Erdteile einfach nur nach dem Stand damaliger Kenntnisse sensibel portraitiert hat[23]. Mir scheint also durchaus die Idee eines Humboldt-Forums, wenn sie denn als eine Idee in der beschriebenen Berliner Tradition begriffen und entwickelt wird, mit der Rekonstruktion von Schlo?fassade und einzelnen Innenr?umen verbindbar, ja, man k?nnte sich eine ?u?erst glückliche und für diese Stadt sehr spezifische Synthese vorstellen. Voraussetzung für alle solche Verbindungen und Synthesen ist – und nun komme ich noch einmal auf Wefing zurück –, da? wir ein koh?rentes Konzept explizieren, meint: das Schlo? nicht nur mit Peschken und anderen als bedeutenden künstlerischen Bau oder mit Wolfgang Neugebauer als zentralen Verwaltungssitz entdecken[24], sondern auch als einstigen Ort der zeichenhaften Pr?senz von Ideen des heutigen Humboldt-Forums. Natürlich denkt jeder sofort an die R?ume der Kunstkammer im Obergescho? der Lustgartenfront am Apothekenflügel, vielleicht auch – wie ich – an einzelne Dekorationselemente der Prunkr?ume, aber natürlich auch an die Nutzungen nach 1918, den deutschen Volkskundealtlas, den Deutschen Akademischen Austauschdienst oder die Probebühne der Staatstheater im Querbau zwischen den beiden H?fen [25]. Zu einem kostbar eingekleideten Verwaltungsbau für den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft (und, wie jüngst vorgeschlagen, die künftige Nationale Akademie) sollte das wiederaufgebaute Schlo? aber nicht herabkommen. Als Humboldt-Forum synthetisiert es in einzigartiger Weise Berliner Traditionen für Gegenwart und Zukunft – und zwar so, da? der rekonstruierte Bau keine blo?e Hülle bleibt.
[1] H. Wefing, Berliner Schlo?platz. Zwischenl?sung Wolke, in: FAZ vom 23.8.2006, Nr. 195, S. 31.
[2] W.v. Humboldt, (Vor-)Antrag auf Errichtung der Universit?t Berlin Mai 1809, in: ders., Werke in fünf B?nden, hg. v. A. Flitner und K. Giel, Bd. IV, Darmstadt 1964, Nr. 4, S. 29-37 (= Gesammelte Schriften, Abtlg. II, Bd. X, Berlin 1903, 139-37); ders., (endgültiger) Antrag auf Errichtung der Universit?t Berlin Juli 1809, ebd., Nr. 13, S. 113-120 (= Bd. X, 148-120); ders., Zur Errichtung eines Museums in Berlin, ebd., Nr. 27, S. 245f. (= Bd. X, 242-243).
[3] Humboldt, Antrag auf Errichtung der Universit?t Berlin Mai 1809, 34 (= 144) bzw. Juli 1809, 115 (= 151); Zur Errichtung eines Museums in Berlin, 245 (= 243).
[4] H. Bredekamp, ?Vom Berliner Schloss zur Humboldt-Universit?t und zurück, in: Internationale Expertenkommission Historische Mitte Berlin. Materialien, Berlin 2002, 121.
[5] K.F. Schinkel 1828 in seiner Denkschrift über den ?vornehmsten und eigentlichen Hauptzweck des Museums“ (###).
[6] E. B?rsch-Supan, Berliner Baukunst nach Schinkel 1840-1870 (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts 25), München 1977, 38f.; V. Plagemann, Das deutsche Kunstmuseum 1790-1870. Lage, Bauk?rper, Raumorganisation, Bildprogramm (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts 3), München 1967, 117-120 und A. Wesenberg, Freist?tte für Kunst und Wissenschaft. Die Berliner Museumsinsel, in: Friedrich Wilhelm IV. Künstler und K?nig. Zum 200. Geburtstag. Ausstellung vom 8. Juli bis 3. September 1995. Neue Orangerie im Park von Sanssouci, Potsdam 1995, 78-84.
[7] Humboldt, Theorie der Bildung des Menschen. (zu Lebzeiten unver?ffentlichtes) Bruchstück (von 1794/1795), in: ders., Werke in fünf B?nden, Bd. I, Darmstadt 1960, 234-240 (= Gesammelte Schriften, Abtlg. I, Bd. I, Berlin 1903, 282-240), insbes. 239 (= 287); ders., Ueber die innere und ?u?ere Organisation der h?heren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, in: ders., Bd. IV, 255-266 (= Bd. X, 250-260), insbes. 261 (= 256).
[8] Leibnizens Denkschrift in Bezug auf die Errichtung einer Societas scientiarum et Artium in Berlin vom 26. M?rz 1700, bestimmt für den Kurfürsten, hier zitiert nach: A. Harnack, Geschichte der k?niglich preu?ischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1900), Bd. II Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der K?niglich Preu?ischen Akademie der Wissenschaften, Hildesheim/New York 1970, (78-81) 79.
[9] Harnack, Geschichte der k?niglich preu?ischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1900), Bd. I/1 Von der Gründung bis zum Tode Friedrich’s des Gro?en, Hildesheim/New York 1970, 82f.; H. Bredekamp, Leibniz’ Theater der Natur und der Kunst, in: Theatrum naturae et artis. Theater der Natur und der Kunst. Wunderkammern des Wissens. Essays, hg. v. H. Bredekamp, J. Brüning u. C. Weber, Berlin 2000, 12-19.
[10] Statut der K?niglichen Societ?t der Wissenschaften vom 3. Juni 1710, zitiert nach: Harnack, Geschichte der k?niglich preu?ischen Akademie der Wissenschaften, Bd. II, Nr. 99, (192-196) 194.
[11] Bredekamp, Leibniz’ Theater und Kunst, 18f.
[12] F. Damaschun/G. B?hme/H. Landsberg, Naturkundliche Museen der Berliner Universit?t – Museum für Naturkunde: 190 Jahre Sammeln und Forschen, in: Theatrum Naturae et Artis. Theater der Natur und Kunst, (86-106) 91.
[13] Neben den Beitr?gen im Katalog der erw?hnten Ausstellung ?Theatrum Naturae et Artis“ vgl. Aufgetaucht. Das Institut und Museum für Meereskunde im Museum für Verkehr und Technik Berlin (Berliner Beitr?ge zur Technikgeschichte und Industriekultur. Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik Berlin 15), Berlin 1996, 10-59.
[14] Leibnizens Denkschrift in Bezug auf die Errichtung einer Societas scientiarum et Artium in Berlin vom 26. M?rz 1700, zitiert nach: Harnack, Geschichte der k?niglich preu?ischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. II, 81; dazu ders., Bd. I, 82.
[15] W.v. Humboldt, Ueber den grammatischen Bau der chinesischen Sprache, in: ?ber die Sprache. Reden vor der Akademie, hg., kommentiert u. mit einem Nachwort versehen von J. Trabant (UTB 1783), Tübingen/Basel 1994, 126-142 (= Gesammelte Schriften Bd. V, 309-324)
[16] Humboldt, Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung, ebd. 11-32 (Bd. IV, 1-34); ders., Ueber die Sprachen der Südseeinseln (1828), ebd. 170-172 (= Bd. VI, 37-40).
[17] J. Trabant, Wilhelm von Humboldt, in: Mit Wilhelm und Alexander von Humboldt zum Humboldt-Forum in der Mitte von Berlin. Grundlegende Gedanken, hg. v. Initiative Humboldt-Forum, Berlin o.J., 16-26; Zitat aus: Humboldt, Theorie der Bildung der Menschen, in: ders., Werke in fünf B?nden Bd. I, 239 (= Bd. I, 287).
[18] U. van der Heyden, Vom Seminar für Orientalische Sprachen zum Seminar für Afrikawissenschaften, in: F. Veit-Wild (Hg.), Nicht nur Mythen und M?rchen. Afrika-Literaturwissenschaft als Herausforderung, Trier 2003, 19-33;
[19] A. Bank, Bushmen in a Victorian World. The remarkable story of the Bleek-Lloyd Collection of Bushman folklore, Cape Town 2006, 33f. und 186-188 (Lepsius) und 186-188 (Virchow); zu den Papers auch N. Bennun, The Broken String. The Last Words of an Extinct People, London 2004.
[20] H. H?fmann, Lepsius’ Beitrag zur Klassifikation afrikanischer Sprachen, in: Karl Richard Lepsius (1810-1884). Akten der Tagung anl??lich seines 100. Todestages, 10.-12.7.1984 in Halle, hg. v. E. Freier u. W.F. Reineke (Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 20), Berlin 1988, 191-201; W. Müller, Das historische Museum – die Neugestaltung des Berliner ?gyptischen Museums durch Richard Lepsius, ebd., 276-283.
[22] A.v. Humboldt, Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, ediert u. mit einem Nachwort versehen v. O. Ette (Die andere Bibliothek), Frankfurt/Main 2004, 243 (Bd. II, Stuttgart und Augsburg 1847, 143).
[23] G. Peschken/H.-W. Klünner, Das Berliner Schlo? (Das klassische Berlin), Berlin 21991, 478 mit Abb. 114 und 115.
[24] W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Repr?sentation. Das Berliner Schlo? und seine historischen Funktionen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert (Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin 1), Potsdam 1999.
[25] Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Repr?sentation, 63 mit Nachweisen.