Humboldt-Universit?t zu Berlin

Die Weihe des Hauses

Ansprache anl??lich der Einweihung der Institute am Hegelplatz, Freitag, 10. November 2006

?Hierher, hierher! Geschwunden sind die Jahre der Rache. Er ist vers?hnt. Auf! Folge! Hierher, hierher!“. Diese Verse, Spectabilis K?mper, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Sie mutma?lich nicht kennen und noch nie geh?rt haben. Ich jedenfalls kannte sie nicht. Und mein Vater, immerhin lange Jahre an der Dahlemer Schwesteruniversit?t für die neuere deutsche Literatur zust?ndig, übrigens auch nicht. Sie er?ffnen das Festspiel ?Die Weihe des Hauses“, das der mir bis dato ebenfalls v?llig unbekannte k. u. k. Rechnungsführer und Feldkriegskommiss?r Carl Meisl anl??lich der Wiederer?ffnung des renovierten Josephst?dter Theaters im Jahre 1822 aus August von Kotzebues ?Die Ruinen von Athen“ kompiliert und bearbeitet hatte – Sie werden verstehen, da? der Altkirchenhistoriker im Pr?sidentenamte wohl Ferdinand Raimund kennt, aber nicht seine Vorl?ufer auf dem Feld der Wiener Volkskom?die; schlie?lich bin ich ja kein Germanist, sondern nur Sohn eines Germanisten und er?ffne gerade ein Institutsgeb?ude, das auch die Germanistik unserer Humboldt-Universit?t beherbergt, ohne hier selbst als Fachvertreter zu lehren.

Wir weihen, meine Damen und Herren, ein Haus ein – so wie man mit Meisls ?Weihe des Hauses“ 1822 in der Wiener Josephsstadt das von Kornh?usel renovierte und bis auf den heutigen Tag bespielte Theater er?ffnete; auch unser Theater – wenn Sie mir diesen etwas despektiertlichen Vergleich gestatten –, wurde renoviert und um einige Bauteile erg?nzt. Und man m?chte hoffen, da? hier – so wie 1857 im Josephsstadttheater der für das Hoftheater zu unsittliche Tannh?user Wagners aufgeführt wurde – in diesem Hause mindestens gelegentlich wissenschaftliche Experimente gewagt werden, für die man anderswo viel zu verschlafen ist und für alle hier beheimateten Institute mit der Renovierung des Hauses eine Periode gro?er Prosperit?t anbricht, die der Direktion Max Reinhardts am Josephstadttheater vergleichbar ist.

Berühmt ist das Festspiel ?Die Weihe des Hauses“, aus dem ich zitierte, natürlich weniger Carl Meisls wegen und wohl auch kaum August von Kotzebues wegen, der die von Meisl bearbeitete Vorlage schrieb. Selbst der hochgebildete Feuilletonchef einer gro?en Sonntagszeitung, mit dem ich gestern über das Sujet parlierte, wu?te vom armen Kotzebue nur, da? er ermordet wurde und der Name des M?rders Sand lautete – nicht einmal der heute im Badischen gelegene und einst als Pf?lzische Residenz berühmte Ort, an dem die ruchlose Tat vollbracht wurde, war dem klugen Feuilletonisten auf Anhieb zur Hand, glücklicherweise auch nicht, da? ein Student der evangelischen Theologie aus Jena Kotzebue erdolchte. Solche Unkenntnis ist nicht g?nzlich verwunderlich, mindestens im Osten unseres Landes: Vor 1989 hat die Germanistik der Humboldt-Universit?t Kotzebue als seicht witzelnden Schreiberling beschrieben, der die gesellschaftlichen Konflikte und Widersprüche banalisiert und verflacht habe, den tragischen Zusammenprall mit den feudalistischen Zust?nden durch kompromi?lerische Scheinl?sungen ersetzt habe – so jedenfalls das ?Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller“ aus dem VEB Bibliographisches Institut Leipzig sub voce (330f.). Von der interessanten Biographie des Juristen, Theaterdichters und Theaterdirektors Kotzebue zwischen St. Petersburg, Sibirien, Berlin, Weimar und eben Mannheim erf?hrt der Leser des Lexikons herzlich wenig, eine kleine Monographie unter dem Titel ?August von Kotzebue. Theatergenie zur Goethezeit“ h?tte hierzulande vor Jahren sicher nicht geschrieben und, falls geschrieben, sicher nicht gedruckt werden k?nnen, Au?erdem war die herrschende Ideologie war gesteigerter Aufmerksamkeit für subtile Gesellschaftskritik in den Stücken Kotzebues auch nicht gerade günstig. ?Sanfte Unterhaltung oder bissige Satire“ überschreibt eine jüngst publizierte Dissertation eines ihrer Kapitel und was davon stimmt, müssen Kundigere entscheiden.

Ich werde mich aber hüten, den hiesigen Seminaren den von Schiller verh?hnten und von Schlegel verspotteten Kotzebue auf dem Wege einer Einweihungsrede gesch?tzten Instituten und Seminaren meiner Universit?t als Gegenstand von Lehre und Forschung zu empfehlen – mindestens da gilt ohne Zweifel das Ressortprinzip und die alte Forderung, da? der Schuster bei seinen Leisten bleiben soll. Ob in diesem Hause über Goethe geforscht wird, der Kotzebue aufführte und – wenn ich recht sehe – eher differenziert beurteilte, oder über irgendeinen anderen Autor, ist vergleichsweise egal, solange spannend und exzellent geforscht wird. Da? hier spannend und exzellent geforscht, mitrei?end gelehrt werden kann, verdanken wir den Architekten, der technischen Abteilung unserer Verwaltung und den Anstrengungen der beteiligten Institute und Seminare. Es ist ein wunderbares Haus wieder und neu entstanden, da? unserer ganzen Universit?t zur Zierde gereicht, sozusagen ein Beispiel dafür, wie man Humboldt ins einundzwanzigste Jahrhundert übersetzen kann, um dem Titel eines wichtigen Drittmittelantrags dieser Universit?t zu bemühen und ein Leitmotiv ihres gegenw?rtigen Pr?sidenten zu zitieren. Allen Beteiligten herzlichen Dank und Glückwunsch für alle, die es nun nutzen dürfen: ?Hierher, hierher! Auf! Folge! Hierher, hierher!“.

Berühmt ist das Festspiel, aus dem ich gerade noch einmal zitiert habe, nicht Meisls und Kotzebues wegen. Berühmt ist es, weil Beethoven eine Ouvertüre schrieb und Einzelnes vertonte, die Musik selbst dirigierte und weil die wuchtigen Striche, die die Ouvertüre er?ffnen, unverge?lich sind, hat man sie je einmal geh?rt. In einem Zeitungsartikel der Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung vom 4. Dezember 1822 hei?t es über die Wiederer?ffnung des Theaters: ?Der Meister dirigierte selbst; da man jedoch seinen leider immer noch geschw?chten Geh?rswerkzeugen nicht sicher vertrauen kann, so war ihm im Rücken Hr. Kapellmeister Gl?ser postiert, um dem … Orchester des Autors Willensmeinung erst recht eigentlich zu verdolmetschen, welches doppelte, nicht selten ganz verschiedene, Taktieren sich in der Tat recht sonderbar gestaltete. Dennoch ging alles so ziemlich glücklich vonstatten, bis auf die Ch?re, welche manche Dissonanzen extemporierten; der Tonsetzer wurde freudig empfangen, am Schlusse hervorgerufen und mit Jubelbeifall überh?uft“.

Mir scheint, sehr geehrte Damen und Herren, da? uns auch an diesem Punkte die Wiederer?ffnung des Theaters in der Josephsstadt ein Vorbild für unsere Wiedereinweihung des Seminargeb?udes am Hegelplatz abgeben kann: ?um dem … Orchester des Autors Willensmeinung erst recht eigentlich zu verdolmetschen“, um den Studierenden des Autors und der Autorin Willensmeinung erst recht eigentlich zu verdolmetschen, um im Takt mit einem Autor das Orchester der Leser anzuleiten, das Orchester der Interpreten auf bestimmte Standards zu verpflichten – natürlich bin ich nicht so naiv, da? an dieser Stelle nicht ahne, da? bestimmte literaturwissenschaftliche Hermeneutiken wenig mit solchen Bildern zusammenstimmen, wie ich sie gerade verwende. Aber, liebe Damen und Herren, angesichts m?glichen Widerspruchs sag ich es gerade und besonders gern: Willensmeinung eines Autors zu erspüren, sie zu verdolmetschen und durch Argumente den vielstimmigen Chor der Interpreten zu einen, ist jedenfalls für einen Textexegeten aus dem Bereich der Theologie die schlechteste Hermeneutik nicht.

?Lasset uns tanzend/ Blumen hier pflücken/ und mit Entzücken/ den G?nnern sie streu’n“, dichten Meisl und Beethoven den Text Kotzebues um. Gestern erwog ich mit dem erw?hnten Feuilletonchef die These, da? Kotzebues Ermordung eher die verzweifelte Tat eines Literaturliebhabers war, ein ?u?erst drastischer Ausdruck eines literarischen Werturteils. Die Kundigen unter ihnen wissen, da? mit einer solchen These das revolution?re Potential der deutschen Studentenschaft im Vorm?rz geringfügig untersch?tzt ist und der These mindestens eine gewisse historische Naivit?t eigen ist. Treffen Kotzebue und Meisl vielleicht aber doch mit ihren Texten die Stimmung dieses Nachmittags, obwohl ich hier niemanden tanzen und Blumen streuen sehe? Doch, da? man sich über diesen wundersch?nen Bau von Herzen freuen kann und allzumal nach der Vollendung der Universit?tsbibliothek Forschen wie Lehren Ihnen hier leicht wie ein guter Tanz von der Hand gehen m?ge, das empfinden manche, wünschen viele. Und zuf?rderst, Herr Dekan, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, ich: ?Auf! Folge! Hierher, hierher!“.