Gru?wort anl??lich der Einweihung des neuen Geb?udes der Theologischen Fakult?t
9. Mai 2007
Hausandacht, Hausbesuch, Haushalterschaft, Hauskirche, Hauskult – so,
sehr verehrter Herr Minister, Spectabilis, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lauten die Lemmata, die im Lexikon ?Religion in Geschichte
und Gegenwart“ unmittelbar auf das Stichwort ?Haus“ folgen und auch dem
raschen Leser deutlich machen, da? es zwischen allem, was mit ?Haus’ zu
tun hat, und der Theologie ?u?erst enge Beziehungen gibt. In der
Praktischen Theologie ist beispielsweise dem Hausbesuch vor einiger
Zeit eine umfangreiche Habilitationsschrift gewidmet worden, im Neuen
Testament hat man die Ekklesiologie entdeckt und fragt sich, warum
Paulus die Apostel als ?Haushalter der Geheimnisse Gottes“ bezeichnet,
die Religionswissenschaft untersucht individualisierte Religion im
Europa der Moderne und also auch die neuen Hauskulte und wir
Kirchengeschichtler haben entdeckt, da? es nicht nur in Dura-Europos
eine vorkonstantinische Hauskirche gab, sondern vielleicht auch bei
Megiddo und ganz sicher an diversen Stellen in Rom. Hausandacht,
Hausbesuch, Haushalterschaft, Hauskirche, Hauskult – wie gesagt: in
allen theologischen Disziplinen wird über Fragen nachgedacht, die mit
dem Haus zu tun haben.
Um so merkwürdiger berührt ist, in welchen H?usern die Theologische
Fakult?t der Berliner Universit?t nach 1945 untergebracht war. Bis 1945
nutzte man das stolze Hauptgeb?ude und das dahinterliegende, dann
zerst?rte Seminargeb?ude;: Wilhelm Schneemelcher hat mir einmal
erz?hlt, wie die Assistenten des Kirchenhistorikers Hans Lietzmann
immer die Hintertreppe des Seminargeb?udes nutzen, um nicht Assistenten
von Lietzmanns Kollegen Erich Seeberg treffen zu müssen, die
ausschlie?lich die Vordertreppe verwendeten – Seeberg war tief in die
nationalsozialistische Hochschulpolitik verwickelt und wurde von
Gegnern des Nationalsozialismus wie Lietzmann ostentativ gemieden. Nach
dem Kriege galt für die Theologische Fakult?t der Humboldt-Universit?t
zu Berlin, was Hans Graf Lehndorff so beschreibt: ?Komm in unser festes
Haus,/ der du nackt und ungeborgen./ Mach ein leichtes Zelt daraus,/
das uns deckt kaum bis zum Morgen;/ denn wer sicher wohnt, vergi?t,/
da? er auf dem Weg noch ist“: R?ume im halbzerst?rten Dom, in die es
hineinregnete und aus denen heute wohl bekannte und recht prominente
Theologieprofessoren Bücher nach Hause mitnahmen, einfach um sie vor
dem Verfaulen zu retten, dann eine schmale Baracke hinter der
Staatsbibliothek und erst kurz vor Toresschlu? ein sanierter Altbau.
Die kirchliche 三亿体育·(中国)官方网站 im Westen kam deutlich schneller aus den
Baracken einer SS-Kriegsberichterstatterabteilung in einen ebenso
leichten wie heiteren Neubau des Architekten Peter Lehrecke, das
Sprachenkonvikt blieb lange in den R?umen der Borsigstra?e. Pl?ne, alle
drei Einrichtungen auf dem Platz des ehemaligen Gemeinde- und
Pfarrhauses der Parochialkirche zusammenzuführen, zerschlugen sich, wie
einige unter uns noch aus schmerzlicher Erfahrung wissen: mit Glas
verschlossene Tür?ffnungen, die einfach in die freie Luft weisen.
Für den Kirchenhistoriker l?ge es nahe, wenn die verwickelte
Geschichte der Berliner theologischen Ausbildungseinrichtungen einmal
im Spiegel ihrer H?user erz?hlt würde – heute abend ist dafür weder die
Zeit noch der rechte Ort. Heute wird vielmehr gefeiert und auf den
ersten Blick k?nnte man ja glauben, es sei nun, mit dem gemeinsamen
Bezug eines neuen Hauses, die Nachkriegszeit endgültig zu Ende
gegangen, die deutsche Teilung aufgehoben und Normalit?t
wiederhergestellt: Die alte Berliner Universit?t hat wieder eine
Theologische Fakult?t, auf die sie stolz sein kann, und sie ist in
einem Haus untergebracht, auf das man auch nur stolz sein kann. Aber
das w?re ja ein sehr ?u?erlicher Blick. Wir wollen doch auch im neuen
Haus nicht vergessen, da? und wie sich die Theologische Fakult?t der
Friedrich-Wilhelms-Universit?t auf den Nationalsozialismus eingelassen
hat und mindestens einzelne Professoren der Fakult?t an der
Humboldt-Universit?t mit dem folgenden System verbunden waren, w?hrend
die Freiheit der Wissenschaft – wie Eberhard Jüngel einmal gesagt hat –
von den kirchlichen 三亿体育·(中国)官方网站n und vom Sprachenkonvikt
aufrechterhalten worden ist. Mir liegt nicht nur als Kirchenhistoriker
daran, da? in unserem neuen Hause diese Tradition einer ungeachtet
aller kirchlichen Bindungen freien Wissenschaft im totalit?ren System
nicht vergessen wird; ich wünsche mir, da? wir die vielfachen Brüche in
der Geschichte unserer Institution im Ged?chtnis behalten und daraus
lernen.
Wir haben, liebe Angeh?rige der Theologischen Fakult?t, nun endlich
ein Neues Haus – ich bin nicht der erste, der das tief dankbar sagt und
werde nicht der letzte bleiben. Es bleibt die Aufgabe, nun eine
gemeinsame Identit?t im neuen Haus zu entwickeln, wie in den besten
Zeiten der Berliner Theologie zugleich für die ganze Universit?t zu
lehren und zu forschen und doch den identit?tsstiftenden Bezug auf die
evangelische Kirche zu leben – einer unserer ganz gro?en Theologen war
bekanntlich nicht nur Professor für systematische Theologie, sondern
zugleich auch Pfarrer an der im zweiten Weltkrieg zerst?rten
Dreifaltigkeitskirche. Ich will gar nicht bestreiten, da? die
Notwendigkeit, sich an beiden Aufgaben zugleich zu orientieren, sich
auf Kirche und Universit?t gleichzeitig zu beziehen, in den letzten
Jahrzehnten durchaus gr??ere intellektuelle wie organisatorische
Herausforderungen impliziert, mit einem schlicht revitalisierten
Schleiermacher und der blo?en Repetition seiner Theologie wird man auch
hier sicher nicht auskommen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Studierende – wir haben immerhin ein Haus, um darüber zu
diskutieren, darüber gelegentlich zu streiten und – wie heute – um
darin fr?hlich zu feiern. Und also danke ich namens der Universit?t
allen, die sich um den Bau und Bezug dieses Hauses so gro?e Verdienste
erworben haben: Ewald Schwalgin, Dieter Kolb und Agnes Winter seien
pars pro toto genannt, aber natürlich auch die Architekten.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t