Rede zur Er?ffnung des Akademischen Jahres 2006/2007
Sehr verehrte Frau Bundesministerin,
sehr verehrte Damen und Herren, insbesondere aber: liebe
Studierende,
Feiern zur Er?ffnung eines akademischen Jahres, feierliche Immatrikulationen eines neuen Jahrgangs von Studierenden sind stets nicht nur eine Zustandsbeschreibung der Universit?t, sondern ein Spiegel der jeweiligen Zeit und der Gesellschaft. Als das Studienjahr 1976/1977 im Herbst des Jahres 1976 er?ffnet wurde, betonte, wie es in der Zeitung der Humboldt-Universit?t hie?, ?der Rektor, Genosse Prof. Dr. Helmut Klein, da? die Inmatrikulation … den Studentinnen und Studenten Ansporn und Verpflichtung sein m?ge, ihr Studium zu nutzen, sich wissenschaftliche und politische Kenntnisse anzueignen, um so durch noch h?here Leistungen in Lehre und Forschung die Beschlüsse des Gremiums der Partei der Arbeiterklasse mit erfüllen zu helfen“ – die ganze Universit?t sollte zur Erfüllungsgehilfin der politischen Forderungen des neunten Parteitages der SED werden. Mehr oder weniger passende Analogien k?nnte man, wir alle ahnen es, mühelos aus der Geschichte der Humboldt-Universit?t beibringen; im neunzehnten Jahrhundert wurden bei der feierlichen Immatrikulation gestempelte Karten ausgegeben, ?um sich n?thigenfalls bei der Polizey als Student legitimieren zu k?nnen“, von den Verpflichtungsreden und –formeln in zwei deutschen Diktaturen wollen wir lieber erst gar nicht anfangen, wozu eine im wahrsten Sinne des Wortes entfesselte Berliner 三亿体育·(中国)官方网站 in der Lage war, kann man sich vor dem Hauptgeb?ude an Micha Ullmanns Denkmal der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz deutlich machen. Es ist unabdingbar notwendig, diese Geschichte der Berliner Universit?t zu kennen, um die Freiheit, die diesem Land 1945 und noch einmal 1989 geschenkt wurde, als ein Geschenk zu begreifen, im Studium, in Forschung und Lehre zu nutzen und nicht zu vert?ndeln oder zu verspielen.
Natürlich steht auch die Er?ffnung des akademischen Jahres 2006/2007 und die feierliche Immatrikulation der Studierenden dieses Wintersemesters in einem bestimmten bildungspolitischen und allgemeingesellschaftlichen Kontext – wer wollte das drei Tage nach der Verkündung der Ergebnisse des Exzellenzwettbewerbes und in Anwesenheit der für Bildung und Forschung zust?ndigen Bundesministerin auch leugnen. Aber bevor ich sehr kurz auf diese gro?en Kontexte eingehe, liegt mir daran, ebenso kurz an einen scheinbar sehr lokalen Kontext zu erinnern. Wir haben vor wenigen Minuten ein Denkmal des Physikers Max Planck enthüllt, das 1948/1949 von Bernhard Heiliger für den Hof des Hauptgeb?udes unserer Universit?t geschaffen wurde, aber aus politischen Gründen dort bis 1989 niemals aufgestellt werden konnte. Da? wir es nun endlich, nach über fünfzig Jahren, heute enthüllen konnten und es nun von der Stra?e Unter den Linden aus gesehen werden kann, k?nnte man als sinnf?lliges Zeichen der dramatischen Versp?tung der deutschen Universit?t deuten, als ein Symbol dafür, wie viele Jahre wir hinter die gro?en Universit?ten dieser Welt wie etwa Harvard oder Stanford zurückgefallen sind, die doch einst nach dem Vorbild dieser Universit?t gegründet worden sind. Um Betreuungsrelationen zwischen Dozierenden und Studierenden zu bekommen, wie sie dort üblich sind, um die Finanzmittel zu erwerben, wie sie dort für die Berufung erstklassiger Fachwissenschaftler zur Verfügung stehen, brauchen wir vermutlich ebenfalls mindestens fünfzig Jahre und ganz gewi? reichen die Finanzspritzen des Exzellenzwettbewerbs dafür allein nicht aus. Und – ich deute dies nur ?u?erst knapp an – von Versp?tung k?nnte man durchaus auch im Blick auf einzelne Wissenschaftsdisziplinen an der Universit?t reden, etwa dann, wenn mit gro?er rhetorischer Emphase eine Wende ausgerufen wird – beispielsweise, um als Geisteswissenschaftler vor der eigenen Tür zu kehren – der linguistic oder cultural turn, obwohl sich jenseits des Atlantik der Wind schon l?ngst wieder weitergedreht hat.
Aber die Aufstellung eines Denkmals für Max Planck so nur rückw?rtsgewandt als Zeichen der dramatischen Versp?tung der deutschen Universit?t zu deuten, ist für den heutigen Anla? passend, noch eine angemessene Zustandsbeschreibung unserer Universit?t, der Universit?t, an der sie, liebe Studierende, heute immatrikuliert werden. Ich habe vorhin vor dem Denkmal versucht zu sagen, da? man wissenschaftliche Ideale von Max Planck ohne gro?e Mühe für die Gegenwart übersetzen kann, ja mehr: bei solcher ?bersetzung die gro?e Aktualit?t seiner wissenschaftliche Ideale erkennen kann. Planck selbst nennt als ein solches Ideal das Stichwort ?reine Erkenntnis“ und andere Zeitgenossen haben von seiner Bescheidenheit, von seiner Demut und einer Haltung des Dienstes an dieser reinen Wissenschaft gesprochen. Alle diese Ideale scheinen in den Stürmen des zwanzigsten Jahrhunderts untergegangen; über das Ideal der reinen Wissenschaft regelrecht zu h?hnen, geh?rte und geh?rt immer noch für viele zum guten Ton und wenn ein Theologe im Amt des Pr?sidenten das Wort Demut in den Mund nimmt, mag der eine und die andere vielleicht auch eher l?cheln. Aber stimmt es wirklich, da? diese Ideale ein vergangenes Jahrhundert repr?sentieren oder müssen sie nicht nur ein wenig umformuliert, übersetzt werden, damit wir ihre unmittelbare Gegenwartsrelevanz erkennen? Brauchen wir etwa nicht Grundlagenforschung auch ohne jeden Anwendungsbezug, also das, was man früher ?reine Wissenschaft“ nannte? Ich kann sie, liebe Studierende, sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur sehr nachdrücklich dazu auffordern, nicht jeden wissenschaftlichen Gedanken sofort darauf zu befragen, wozu er nutzt. Wer nicht auch das denkt, was nicht für eine Prüfung nützt, wer nicht auch das erforscht, was nicht gleich und unmittelbar drittmittelrelevant ist, wird – davon bin ich überzeugt – keine Prüfung bestehen und keinen Cent Drittmittel einwerben. Und, um ein zweites Ideal Plancks zu übersetzen: Ist Selbstbegrenzung des Forschers nicht eine Grundvoraussetzung wissenschaftlicher Neugier, also das, was man früher Demut nannte? Wer alles wei? oder besser: Wer alles zu wissen glaubt, wird beh?big. Beh?bigkeit ist aber das Gegenteil von wissenschaftlicher Neugier und t?tet den wissenschaftlichen Fortschritt; die deutsche Universit?t hat unter verschiedensten Formen von intellektueller Beh?bigkeit gelitten, nicht zuletzt unter der ungeheueren Erstarrung durch Diskussionen über ideologische Ladenhüter der siebziger Jahre. Bei beh?bigen Professoren sollten Sie, liebe Studierende, nicht studieren (die gibt es eigentlich auch gar nicht an der Humboldt-Universit?t) und wir Professorinnen und Professoren wünschen uns auch eigentlich keine beh?bigen Studierenden (aber das sind Sie natürlich auch nicht). Und schlie?lich, um ein drittes Ideal Plancks zu übersetzen: Brauchen wir nicht ein Klima in den Wissenschaften, das diese auf civil service und die Zivilgesellschaft bezieht, n?tig wie das liebe Brot? ?Dienst“ wie zu Plancks Zeiten mag das heute vielleicht keiner nennen, aber es w?re bestürzend, wenn wir hier in der Universit?t forschen würden wie auf einer unzug?nglichen Insel und den dramatischen Informationsbedarf von Politik und Gesellschaft weder befriedigen noch gar erkennen würden. Man mu? ja nur Stichworte wie ?Gesundheitsreform“ oder ?clash of civilisations“ aufrufen, um zu erkennen, wie n?tig eine Gesellschaft Wissen braucht, über Gesundheit und ihre Finanzierung, über den Islam und sein Verh?ltnis zu Christentum oder Demokratie, um nicht in gro?e Krisen zu stürzen. Kurz gesagt, wir haben vorhin den Planck im Hof aufgestellt, weil er uns an diese Ideale einer ebenso exzellenten wie zeitgem??en Wissenschaft erinnern kann, wenn wir seine Ideale und auch die anderer vorbildlicher Wissenschaftler für die Gegenwart übersetzen.
?Translating Humboldt into the 21st Century“, Humboldt ins einundzwanzigste Jahrhundert übersetzen, ist der Antrag überschrieben, mit dem die Humboldt-Universit?t sich für die dritte S?ule in der zweiten Runde des Exzellenzwettbewerbs um den Status einer Elite-Universit?t bewirbt. Nun hat die Bundeskanzlerin am Wochenende gesagt, es m?chte wohl so sein, da? die wirklich exzellenten Universit?ten nur im Süden des Landes liegen. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen erst am Ende der ersten Runde eines Wettbewerbs und daher müssen sie, liebe Studierende, nicht befürchten, an einer durchschnittlichen Universit?t studieren zu müssen. Zum einen wird erst im n?chsten Oktober entschieden sein, ob es nicht auch in der Mitte der Bundeshauptstadt eine der deutschen Eliteuniversit?ten gibt, zum anderen aber hat diese Universit?t viele h?chst exzellente Bereiche und mit ihnen ja auch vielfach ganz exzellente Studierende gewonnen. Die beiden jüngst publizierten F?rderrankings der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Centrums für 三亿体育·(中国)官方网站ntwicklung bescheinigen uns, da? wir ziemlich bald nach den am Freitag gekürten 三亿体育·(中国)官方网站n kommen, n?mlich auf Platz fünf der Liste und wir bemühen uns hier alle, noch weiter voranzukommen und vor allem auch die Gutachter des Wettbewerbs davon zu überzeugen. Was bedeutet das für Studierende, die erst am Anfang ihres Studiums stehen? Viel. Es ist n?mlich, meine Damen und Herren, ein reines Gerücht, da? der gegenw?rtige Aufbruch zu Exzellenz in der Forschung keine Folgen für die Lehre haben wird. Im Gegenteil: Wenn wir uns alle um Exzellenz unser Wissenschaft bemühen, wird auch die Lehre besser, unbeschadet der Notwendigkeit, auch diese durch spezielle Programme und neue Besch?ftigungsformen zu verbessern – aber diese Notwendigkeit ist im Ministerium Schavan ja l?ngst erkannt worden und entsprechende F?rderprogramme in Vorbereitung, die nun noch energischer finanziert und umgesetzt werden müssen. Für sie als Studierende gilt: Fordern sie exzellente Forschung ein, geben sie sich nicht mit Halbgebackenem oder Zweitaufgüssen zufrieden. Ermuntern sie Professorinnen und Professoren, ihre Forschung zu intensivieren und die Lehre zu verbessern. Aber: Vert?ndeln und verschenken sie auch nicht die Chancen, die sie selbst mit einem Studienplatz an dieser Universit?t geschenkt bekommen haben. Die uns allen hier 1989 geschenkte und zugleich mühsam erk?mpfte Freiheit, die Freiheit, an diesem Pult zu sagen, was der jeweilig Redende sagen will, die Freiheit, endlich ein Denkmal Max Plancks aufstellen zu k?nnen, ist ein kostbares Gut. Faulheit im Denken und Faulheit in der akademischen Disziplin bedrohen sie t?dlich. Schlampe ich beim Nachdenken oder liege ich faul im Bette, triumphiert die Dummheit, die Ideologie, das totalit?re System. ?ber die Kostbarkeit von Freiheit kann man hier an der Humboldt-Universit?t viel lernen – und deswegen ist die Exzellenz, die wir schon haben und weiter anstreben, nicht einfach die etwas atemlose, vielfach übliche Exzellenz des H?her, Schneller, Weiter, sondern eine Exzellenz auf der Basis von Freiheit. M?glichst viele beglückende Erfahrungen solcher Freiheit wünsche ich Ihnen nun in diesem Semester und in allen, die darauf folgen werden.