Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Gru?wort auf der Festveranstaltung anl??lich des hundertj?hrigen Gründungsjubil?ums der Handelshochschule Berlin, 27.10.2006

Spectabilis Günther, lieber Herr Schweitzer, verehrter Herr Leibinger, sehr geehrte Freunde und Angeh?rige der Fakult?t, Kolleginnen und Kollegen, Studierende, meine Damen und Herren,

wenn ein Wirtschaftsinformatiker im Dekansamt sich als ebenso kluger wie kundiger Historiker erweist, hat es der Historiker im Pr?sidentenamt mit seinem Gru?wort nicht gerade einfach. Wenn der Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakult?t noch dazu das Programm der Leitung dieser Universit?t pr?zise unter den ?berschriften ?die besten Studierenden gewinnen’, ?auf die Kernkompetenzen konzentrieren’ und ?Spenden aus privaten Quellen anwerben’ zusammenfa?t, dann bleibt dem Pr?sidenten auch an dieser Stelle kaum etwas zu sagen. Wenn aber derselbe, aus dem erzprotestantischen Stuttgart stammende, verehrte Kollege Günter dann gar noch ankündigt, da? zur Verbesserung der finanziellen Lage unserer Universit?t jetzt drüben in der Heilig-Geist-Kapelle wieder Seelenmessen für den Ritter Gruelhut gelesen werden sollen – dann, ich gestehe es offen, ist der evangelische Theologe Markschies nahezu v?llig sprachlos. Eine solche Abkehr vom einstmals staatlichen staatlich verordneten Kampf gegen Christentum und Kirchen an der Humboldt-Universit?t h?tte sich vor 1989 vermutlich niemand tr?umen lassen und die Freude darüber, da? diese hohe Fakult?t im Sinne des Ritters Gruelhut nun auch an den Montagen nach Ostern, Johannis, Michaelis und Weihnachten in das Fakult?tsgeb?ude kommen will, statt zu Hause Semesterferien und Pausen zu genie?en, würdige ich ausdrücklich als Beitrag zur Steigerung der Exzellenz unserer 三亿体育·(中国)官方网站, auch wenn der evangelische Theologe zaghaft an die Bedenken der Reformatoren gegen Seelenmessen erinnern k?nnte. Doch mit solchen Details wollen wir den heutigen Festakt nicht belasten; k?nnen wir doch schon am jüngsten Schicksal der Berliner Universit?ten sehen, da? nur eine Mischung aus Kooperation und Konkurrenz Erfolg im Wettbewerb verhei?t und also, auf unser Beispiel gewendet, blo?e Repetition frühneuzeitlicher Polemik gegen Seelenmessen auch nicht sehr hilfreich w?re. ?hnliches gilt, wenn Sie mir die kleine Abschweifung gestatten, natürlich auch für die blo?e Wiederholung von wissenschaftspolitischen Vorschl?gen, beispielsweise für die Wiederholung des Vorschlags, die Humboldt-Universit?t zur Bundesuniversit?t zu erheben, wobei anl??lich der Wiederholung, wie man heute in der Zeitung lesen konnte, leider vom Wiederholenden der Name der Universit?t aus dem Originalvorschlag nicht ganz pr?zise wiedergegeben wurde. Aber das kann man natürlich noch korrigieren – jedenfalls dann, wenn man zur Heilung der Berliner Finanzkrise nur den sattsam bekannten Ruf nach der Hilfe des Bundes parat haben sollte. Da sind Seelenmessen dann schon der deutlich originellere und wahrscheinlich wirkungskr?ftigere Einfall.

Nun werden Sie sich, Spectabilis Günter, meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht fragen, ob solche Sottisen anl??lich einer voraufgehenden klugen Rede, die Sie selbstverst?ndlich auch sofort als reine variatio der captatio benevolentiae identifiziert haben, der Feier eines hundertj?hrigen Jubil?ums wirklich angemessen sind, oder eher ein Zeichen des von manchen beklagten Verfalls der deutschen Universit?t. An Verfall der Universit?t dachte ich jedenfalls, als ich am vergangenen Montag vor dem berühmten, auf rotem schlesischem Marmor angebrachten Zitat in der Eingangshalle des Hauptgeb?udes stand, das, wie sie alle wissen, von einem ehemaligen Studenten unserer Universit?t stammt. Denn vor diesem berühmten, leider aber philologisch nicht ganz pr?zise in goldenen Lettern an die Wand angeschlagenen Satz, der dazu auffordert, die Welt zu ver?ndern, bevor man sie verstanden hat, lehnte ein mittelgro?es wei?es Schild, das auf einem Besenstiel genagelt ist – mutma?lich ein Schild, das von Angeh?rigen unserer Universit?t bei der gro?en Demonstration am Sonnabend vergangener Woche getragen wurde und post festum als Denkansto? vor dem Marx-Zitat abgestellt wurde. Auf dem Schild ist in etwas unregelm??iger Schrift folgender Satz zu lesen: ?Die ?konomen haben die Welt heute bereits so weit ver?ndert, dass die Philosophen sie jetzt nicht mehr interpretieren k?nnen“. Wahrscheinlich haben Sie, verehrte Damen und Herren, das Schild nicht selbst bewundern k?nnen; es stand nicht lange in unserer Eingangshalle, sondern wurde von aufmerksamen Mitarbeitern sogleich in mein Büro gebracht, wo es die Ausarbeitung eben des Gru?wortes anregte und begleitete, das ich Ihnen eben gerade vortrage.

?Die ?konomen haben die Welt heute bereits so weit ver?ndert, dass die Philosophen sie jetzt nicht mehr interpretieren k?nnen“ – einmal abgesehen davon, ob dieser Satz wirklich zutrifft, zutreffen sollte; aber diese Frage kann man natürlich auch an das Original stellen, das er variiert –, der Satz des Demonstrationsplakates verr?t, da? mindestens eine gebildete ?ffentlichkeit ahnt, da? ?konomen heute nicht nur eine zentrale Deutungskompetenz für ein einziges Feld von Kultur und Gesellschaft hat – bekanntlich hat Schleiermacher in seinen ethischen Berliner Akademie- und Universit?tsvorlesungen mit Religion, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft schon im Umfeld der Universit?tsgründung vier gleichberechtigte Kulturgebiete der Gesellschaft ausgewiesen, aber erst 1877 und 1882 wurde durch die Berufung von Wilhelm Scherer und Gustav Schmoller mit dem Aufbau einer staats- und finanzwissenschaftlichen Kompetenz begonnen, die der der süddeutschen Staaten vergleichbar war. Auch an diesem Punkt erwies sich Berlin als versp?tete Hauptstadt. Wenn der unbekannte Demonstrant des letzten Wochenendes schrieb: ?Die ?konomen haben die Welt heute bereits so weit ver?ndert, dass die Philosophen sie jetzt nicht mehr interpretieren k?nnen“, dann ist hier zudem der in vielen Disziplinen grundgelegten wissenschaftlichen Einsicht Rechnung getragen, da? die vier Bereiche Religion, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft heutigentags so interferieren, als Interaktionsbereiche fungieren, das sie l?ngst nicht mehr separiert interpretiert oder unabh?ngig voneinander ver?ndert werden k?nnen. Meint in concreto: Eine Universit?t, insbesondere ihre für Religion, Politik und übrige Wissenschaften zust?ndigen Kollegen, tun gut daran, auf die ?konomen zu h?ren, insbesondere auch dann, wenn in der Tradition der Handelshochschule die ?konomische Theorie in diesem Haus auf praktische Handlungsfelder bezogen wird. Aber auch umgekehrt: Ob Sie, liebe Angeh?rige dieser Fakult?t, nun ihren Rekonstruktionen rational choice des Menschen als basale Annahme zugrundelegen, oder sich zuvor von unserem Neurologen Arno Villringer über die Motive und Gestalten des allt?glichen irrationalen Handelns belehren lassen, macht einen sehr deutlichen Unterschied, nicht nur für die Theorie. Oder noch einmal anders gewendet: Wir k?nnen nur dankbar dafür sein, da? die ursprünglich separat gegründete Handelshochschule mit ihrer praktischen, berufsbildenden Tradition heute ein Teil der Universit?t ist. Und aus dieser Integration für unsere künftigen Planungen die Anregung mitnehmen, ob nicht in der von Dekan Günter beschriebenen Tradition der einstigen Ausbildung von jungen Kaufleuten, von Handels- und Gewerbelektoren sowie Justiz-, Verwaltungs- und Handelskammerbeamten, der Weiterbildung von Wirtschaftspolitikern auch Zukunftspotentiale dieser Fakult?t liegen. Ich habe bei allen Gespr?chen mit der Wirtschaft in den vergangenen Monaten – beispielsweise bei den überaus angenehmen mit Eric Schweitzer – immer wieder die Frage gestellt, welche Absolventen eigentlich bestimmte Wirtschaftszweige brauchen und denke, da? Antworten auf solche Fragen Folgen für die Ausbildung an dieser Universit?t und vermutlich auch an dieser Fakult?t haben sollten, ebenso wie der dringende Bedarf nach wirtschaftswissenschaftlicher Weiterbildung in Politik, Justiz und Verwaltung von unserer Universit?t dringend noch st?rker berücksichtigt werden sollte, selbst dann, wenn der Bedarf von denen, die ihn eigentlich als den eigenen empfinden sollten, nicht immer sehr klar gesehen wird.

Wie Sie merken, verehrter Herr Dekan, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, verehrte G?ste und Freunde der Fakult?t, habe ich mich aus dem Bereich der Sottisen langsam in den grunds?tzlichen Bereich vorgearbeitet, der einem pr?sidialen Gru?wort anl??lich des hundertj?hrigen Jubil?ums einer Einrichtung, die in seine Universit?t eingegliedert wurde, wohl ansteht, auch ein wenig Ersatz für die Tatsache darstellt, da? ich an der Podiumsdiskussion deswegen nicht teilnehmen kann, weil ich zur gleichen Zeit in der Akademie der Wissenschaften spreche. Sie erkennen aber an dieser Entwicklung meines Gru?wortes jedenfalls, da? die wirtschaftswissenschaftliche Fakult?t unserer Tage, da? die praktische Dimension ihrer Ausbildung und deren Wirkung für Stadt und Land mir ebenso am Herzen liegt wie die Geschichte der Handelshochschule, über die Oliver Günter so klug gesprochen hat.

Ein letzter Gedanke: Deutungskompetenz für die Welt ist mit Macht verbunden. Und vor Macht fürchten sich viele. Beispielsweise der oder die, der das schon mehrfach zitierte Schild vor sich hertrug: ?Die ?konomen haben die Welt heute bereits so weit ver?ndert, dass die Philosophen sie jetzt nicht mehr interpretieren k?nnen“. In einem Büchlein eines Tübinger Verlages, das viele von ihnen kennen dürften, findet sich die geistreiche Farce ?McKinsey-Bericht über den Besuch bei den Berliner Philharmonikern“. Dort wird einleitend gesagt, da? die vier Oboisten in dem Konzert, das die Berater besuchten, ?sehr lange nichts zu tun gehabt“ h?tten und das Stück entsprechend gekürzt werden sollte und die Arbeit dieser Bl?ser gleichm??ig auf das ganze Orchester verteilt werden k?nne, um Arbeitsspitzen zu vermeiden. Auch wird die Kürzung von Partituren angeregt, um die st?ndigen Wiederholungen zu vermeiden und die Vereinfachung komplizierter L?ufe, um mehr Aushilfskr?fte und Studenten besch?ftigen zu k?nnen. Wer mag, liebe Damen und Herren, ausschlie?en, da? in der gegenw?rtigen Finanzkrise Berlins solche Narreteien tats?chlich empfohlen werden? Wer bewahrt uns den unsinnigen Vorschl?gen, die in gegenw?rtiger Situation gemacht werden? Und wer vermag Angst vor den ?konomen, die sich durch solche Torheiten verst?rkt oder erst aufbaut, durch bessere, klügere Vorschl?ge abzubauen? Sie ahnen schon, wie ich antworten werde: Zuf?rderst unsere wirtschaftswissenschaftliche Fakult?t, die Nachfolgerin der Handelshochschule, die vor hundert Jahren gegründet wurde.