Gru?wort des Pr?sidenten der Humboldt-Universit?t zu Berlin in der studentischen Broschüre zur Ausstellung ?Studieren in Trümmern“
Die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gelten der allgemeinen Wahrnehmung wie der historischen Forschung in Ost wie West als ?bleierne Zeit“, in der (in beiden deutschen Staaten, freilich in unterschiedlicher Weise) die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der deutschen Universit?t verdr?ngt und im Osten die Freiheit der Wissenschaft zunehmend massiv eingeschr?nkt wurde. Durch eine solche, weit verbreitete Sichtweise droht aber die Bedeutung des Aufbruchs der unmittelbaren Nachkriegsjahre nach dem vollst?ndigen Zusammenbruch im Mai 1945 in Vergessenheit zu geraten. Welche überaus unterschiedlichen Hoffnungen auf eine ?neue Epoche“ (Johannes Stroux, Rektor der Jahre 1946/1947) gesetzt wurden, welche Traditionen damals helfen sollten, im Gefühl ?tiefer Scham“ und mit ?heiligem Ernst“ neu zu beginnen (Stroux), ist auch für eine Universit?t am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts von Interesse. Nicht nur deswegen, weil es im Vorfeld eines gro?es Jubil?ums über Vergangenheit orientiert, sondern weil es für die um Identit?t und Profil ringenden deutschen Universit?ten eine ma?stabsetzende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit pr?sentiert, die kaum mehr bekannt ist: Der gro?e Neuanfang war an einigen Stellen auch schon tief belastet, die entschlossene Distanzierung von Irrlehren, die seit 1933 als ?Grundlehren“ aufgezwungen (Stroux), leider aber auch begeistert aufgegriffen wurden, wurde sofort wieder vom Bekenntnis zu neuen Ideologien und ihrer Propagierung besch?digt. In der gegenw?rtigen wissenschaftspolitischen Situation tut Erinnerung an solche von Anfang an vom Scheitern bedrohten Reformen Not, wie ja auch die Wissenschafts- und Universit?tsgeschichte des dramatischen zwanzigsten Jahrhunderts nur bei rückhaltloser Offenlegung der Kontinuit?ten, Brüche und Irrwege überzeugend geschrieben werden kann. Da? eine studentische Arbeitsgruppe, angeleitet von Rüdiger vom Bruch und Christoph Jahr, diese Ausstellung konzipierte und ins Werk setzte, freut besonders – das ist ein Zeichen dafür, dass sich im Vorfeld des Jubil?ums eine ganze Universit?t ihrer Geschichte und Gegenwart vergewissert.
Prof. Dr. Christoph Markschies