Humboldt-Universit?t zu Berlin

Er?ffnung des Akademischen Jahres 2008/2009

Gru?wort am 13. Oktober 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitarbeitende, lieber Garry Smith - vor allem aber: liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, liebe Studierende, die Sie heute hier Ihr Studium aufgenommen haben!

Am vergangenen Freitag befand ich mich noch in Damaskus, genauer auf einer Exkursion meiner Theologischen Fakult?t mit sechsundzwanzig Studierenden dieser Universit?t. Ich erw?hne das natürlich nicht deswegen, weil mir die Umstellung von einem orientalisch bunten Land des Nahen Ostens auf den grauen Berliner Alltag so schwer f?llt, da? ich ?ffentlich darüber r?sonieren mü?te, nein, sondern deswegen, weil auf solchen Immatrikulationsfeiern ja eigentlich gern die etwas verstaubten Monstranzen der Humboldtschen Universit?t aus den Schr?nken geholt werden und vor dem staunenden akademischen Nachwuchs mit Get?se durch den Saal getragen werden - es sind Wortmonstranzen, gro?e, heere Formeln, an der deutschen Universit?t seit fast hundert Jahren wohl vertraut, mindestens bei solchen feierlichen Anl?ssen. Vermutlich, liebe Studierende, kennen Sie einen guten Teil dieser Wortmonstranzen und heeren alten Formeln, auch wenn Sie heute gerade einmal einen halben Tag an der alma mater Berolinensis studieren. "Einheit von Lehre und Forschung" ist einer dieser Formeln, vermutlich die beliebteste. Und genauso h?ufig, wie diese Formel feierlich beschworen und wie eine Monstranz von den Verantwortlichen durch den ?ffentlichen Raum getragen wird, beklagt dann auch irgendwer mit Grabesstimme den Tod der Humboldtschen Universit?t oder wenigstens ihren unmittelbar bevorstehenden Untergang - die Einheit von Lehre und Forschung sei zerbrochen, so h?rt man dann, sei in Zeiten knapper Kassen, in Zeiten überfüllter H?rs?le, in Zeiten eines klar strukturierten Bologna-Studiums l?ngst untergegangen. Wer den Weltuntergang heraufbeschw?rt, findet immer Publikum - glauben Sie das einem Kirchenhistoriker, er redet über sein eigenes Forschungsfeld.

Damit Sie aber, liebe Studierende, den Untergangspropheten und ihren verbreiteten Unheilsprophetien nicht glauben, denen, die die Humboldtsche Universit?t l?ngst versunken glauben, verwende ich heute einmal nicht die heeren Formeln, sondern beginne in der Praxis. Beginne bei den vielen Exkursionen und Praktika, bei denen eine enge, nicht auf anderthalb Stunden Seminar oder Vorlesung begrenzte Gemeinschaft von Lehrenden und Studierenden gepflegt wird, bei der Lehre und Forschung ganz eng miteinander verbunden sind. Auf unserer Syrienexkursion haben wir in der vergangen Woche auch die alte Hauptstadt Syriens, Antakya, Antiochien, besucht - einst die drittgr??te Metropole der Antike, eine Millionenstadt, heute ein kleines türkisches Provinzst?dtchen. Und ganz gewi? kein touristisch erschlossener Ort - "Sie sind seit zwanzig Jahren der erste Reisebus mit Studenten, der hier vorbeikommt", bemerkte eine Frau, die wir auf der Stra?e trafen. Reiseführer gibt es nicht, gute Karten auch nicht, und so sind wir gemeinsam aus dem Bus in das Feld gegangen, um nach ?berresten antiker Bauten zu suchen, die Studentin im dritten Semester und der Professor im gott-was-wei?-ich-wievielten Semester. Ich habe ein Beispiel aus der letzten Woche, ein Beispiel aus meiner eigenen Lehrt?tigkeit, ein Beispiel aus den Geisteswissenschaften verwendet - natürlich gibt es analoge 三亿体育·(中国)官方网站 auch in den Naturwissenschaften, in den Sozialwissenschaften, eigentlich in jedem Fach dieser Universit?t. Und solche 三亿体育·(中国)官方网站 zeigen, da? es neben der überfüllten Vorlesung, in der man nur schwer einen Platz bekommt, neben dem nicht restlos zu Ende gedachten Stundenplan eines Institutes und all' den anderen Schwierigkeiten auch Orte unmittelbarer Lebendigkeit der Humboldtschen Universit?t in der Humboldt-Universit?t zu Berlin gibt - Orte, an denen Sie exzellente Forscher und herausragende Forschung nicht nur von ferne beschnuppern k?nnen, sondern daran ganz unmittelbar beteiligt werden; Orte, in denen der viel beschworene garstige Graben zwischen Geistes- und Naturwissenschaften überbrückt werden kann, Orte, an denen der gro?e hierarchische Abstand zwischen Professor und Studierenden ganz klein wird: Durchfall bekommen in Syrien alle, gleich welchen Abschlu? sie haben.

Suchen Sie, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, solche 三亿体育·(中国)官方网站. Suchen Sie 三亿体育·(中国)官方网站, an denen die gro?e zweihundertj?hrige Reformuniversit?t Unter den Linden so lebendig ist, wie sie es zu Zeiten ihrer Gründung auch schon war, suchen Sie Orte der lebendigen Humboldtschen Universit?t in der Humboldt-Universit?t. Und lassen Sie sich nicht anstecken von der typischen Berliner Muffligkeit, die über alles und jedes meckert, die immer alles für kurz vor oder gerade nach dem Untergang diagnostiziert - die Syrienexkursion ging am Freitag zu Ende, aber n?chstes Jahr machen wir wieder eine, nach ?gypten wahrscheinlich und analoge Angebote intensivster Lehre finden Sie in jedem Institut, in jeder Fakult?t, in Mitte, auf dem Campus Nord und in Adlershof. Studieren macht Spa?, über den Zaun des eigenen Fachgebietes schauen, bringt Gewinn, mal bis in die Nacht über ein Feld stolpern und gemeinsam mit anderen nach Steinen, Blumen, Tieren suchen, ist ein grundlegendes Erlebnis im wissenschaftlichen Bildungsgang. Leidenschaft kennt keinen Stundenplan, Leidenschaft übersieht geflissentlich ein paar Probleme. Zum Studium geh?rt Leidenschaft. Studium ohne Leidenschaft geht zur Not auch, ist aber wie Musik ohne Musikalit?t, Liebe ohne Sehnsucht, wie Essen ohne Genu?, kurz: schrecklich.

Studieren Sie also mit Leidenschaft, liebe Studierende. Wenn aber doch einmal die üblichen Monstranzen der Humboldtschen Universit?t aus dem Schrank geholt werden und der alte, mufflige Klagegesang der unterfinanzierten, überfüllten, verschulten deutschen Universit?t erschallt - dann ist auch schnell ein Gegenbeispiel zur Hand. "Amerika, du hast es besser!", schallt's dann zur Rechten und zur Linken, auf die wirklichen Eliteuniversit?ten wird dann verwiesen, Harvard, Princeton und Yale. Die wenigsten wissen, da? sie da gerade ein Goethezitat im Munde führen, aus der Gründungsphase unserer Universit?t: Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte, hast keine verfallenen Schl?sser und keine Basalte. Dich st?rt nicht im Innern zu lebendiger Zeit unnützes Erinnern und vergeblicher Streit". Unnützes Erinnern - das ist ein passender Weckruf im Jahr des vierzigj?hrigen Jubil?ums der Studentenrevolte von 1968 im Westen, der dritten Hochschulreform der DDR im Osten, im Vorfeld unseres zweihundertj?hrigen Jubil?ums, nein, meine Damen und Herren, unnütz wollen wir uns nicht erinnern, weil wir uns ja schon so oft vergeblich streiten. Aber daran erinnern, wie das mit Amerika wirklich ist, sollten wir uns schon; einfach schon deswegen, damit nicht immer verkl?rte, idealisierte, von wenig Kenntnis getrübte Bilder des gro?en Nachbarn aufscheinen, wenn es hei?t: "Amerika, du hast es besser".

Und wer k?nnte uns besser, wer k?nnte uns realistischer, wer k?nnte uns amüsanter an Amerika, an Universit?t im anderen Kontinent erinnern, als eben Garry Smith, geboren in New Orleans, aufgewachsen in Austin, Texas, studiert in Austin, Houston, Boston und Frankfurt/Main, lehrend in Boston, Chicago, Potsdam und Berlin. Wie ihn vorstellen und nicht ins Schw?rmen kommen? Er hat die American Academy, eine feine, kleine Villa am gro?en Wannsee, in die Jahr um Jahr eine Handvoll Fellows aus den Staaten kommen, ebenso wie zuvor das Einstein-Forum in Potsdam zu einem quirligen, quicklebendigen intellektuellen Ort in Berlin gemacht, einem Platz, wo man den alten Henry Kissinger ebenso treffen kann wie die klügsten Nachwuchswissenschaftler, Altbundespr?sidenten und neue Stars am politischen Himmel, famili?re Atmosph?re bei exquisiten Speisen und doch ganz unfamili?re, aufregende, erregende Gespr?che und Thesen. Die Laudatoren reihen die Superlative aneinander: begnadeter Netzwerker, genialer Fundraiser - ich erg?nze: Da ist in diese verheerte, von den Schicksalsschl?gen insbesondere im zwanzigsten Jahrhundert geschlagene Stadt ein Bürger zurückgekommen, der uns wieder lehrt, intellektuell anspruchsvolle und doch zugleich stilvolle Salons zu führen, Geist und Kultur ganz selbstverst?ndlich beisammen zu halten. Ich freue mich besonders, da? er unserer Einladung, heute zu sprechen, gefolgt ist - und ich bin sicher, liebe Studierende, da? man von seiner Art, die Dinge zu sehen, auch etwas abschauen kann, wenn man nur eine kleine Küche in einer Wohngemeinschaft führt und nicht die gro?e Villa Arnhold am Gro?en Villa. Lieber Gary Smith, wir freuen uns auf Ihren Festvortrag.

Wie eng Lehre und Forschung immer noch an dieser Universit?t miteinander verbunden sind, obwohl sie keineswegs überall in einer schlichten Relation von fünfzig zu fünfzig Prozent verteilt sind, sehen wir in …



Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t