Humboldt-Universit?t zu Berlin

Gru?wort zur Enthüllung einer Harnack-Tafel

19. Juni 2008

?Zun?chst galt es nun, sich in Berlin einzurichten – einzurichten mit fünf Kindern, von denen zwei noch getragen werden mu?ten, im dritten Stock eines Berliner Mietshauses, dessen Tür durch einen echt Berliner Portier-Cerberus gehütet wurde, und in dem die Kinder auf seinen Befehl nur die Hintertreppe hinaufgehen durften. Der düstere Hof war kein Spielplatz; er gewann h?chstens einigen Reiz, wenn ein Leiermann erschien und aus dem Küchenfenster die sorgf?ltig eingewickelten Pfennige auf den Hof klappten, oder wenn am Sonntagmorgen die Kurrendeknaben in ihren dürftigen schwarzen Schulterm?ntelchen dort ihre geistlichen Lieder sangen“ – mit diesen Worten beschreibt Harnacks Tochter Agnes die erste Wohnung, in die der Kirchenhistoriker 1888 nach allerlei Querelen um seine Berufung an die Friedrich-Wilhelms-Universit?t zog, sie lag in der heutigen Hiroschima-Stra?e Nr. 22 im Tiergartenviertel (177). Als nach zwei Jahren eines der Kinder starb und auf dem Matth?uskirchhof begraben werden mu?te, übrigens genau dort, wo sp?ter Harnack selbst begraben werden sollte, verlie? man die Stadtwohnung im Geheimratsviertel und zog in den damaligen ?u?ersten Westen, hier in die Fasanenstra?e, bis 1896 Gravelottestra?e genannt; Wilmersdorf bei Berlin. ?Das war kein kleines Wagnis! Denn zun?chst einmal kündigten die Hausangestellten, die sich weigerten, mit ?aufs Land’ zu ziehen. Einsam lag die Baust?tte, von der aus man die Abendsonne hinter den Kiefern des Grunewaldsees versinken sehen konnte. Ringsum breiteten sich Wiesen, die von m?chtigen graugrünen Weiden umflossen waren. … Aber ?zur Stadt’ zu gelangen, das war nicht einfach; denn die Pferdebahn ging erst in der Kurfürstenstra?e ab, und die Stadtbahn verkehrte nur in gro?en Zeitabst?nden. Doch das alles nahmen die Eltern auf sich, um ihren Kindern Raum, Licht und Luft zu verschaffen“ (190). Neben Harnack wohnte der Bruder von Harnacks Schwager Delbrück, der Direktor des Instituts für G?rungsgewerbe, eine Tür weiter ein Fabrikbesitzer, mit allen pflegten die Harnacks geselligen Umgang, dazu mit den Familien der Architekten Hermann von der Hude und Hans Griesebach. Die kahlen Brandw?nde wurden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ?mit Gem?lden einer idealen Architektur im Florentiner Stil“ bedeckt; auf der Seitenwand war das Wappen der preu?ischen Akademie der Wissenschaften aufgemalt, ein Adler, der sich über die Kuppeln und Türme Berlins in den gestirnten Himmel aufschwingt: Cognata ad sidera tendit, ?er strebt den ihn verwandten Sternen zu“ (271).

Geselligkeit und Arbeit waren die zentralen Elemente des Lebens hier in der Gravelotte- bzw. Fasanenstra?e. Nach einer Morgenandacht und dem Frühstück sa? Harnack in der Regel ab acht Uhr morgens am Schreibtisch und arbeitete zw?lf Stunden; nach dem Abendessen nahm Harnack keine Arbeit mehr in die Hand: ?In meinem Hause wird nach 8 Uhr nicht mehr gearbeitet“ (281). Die Abendstunden wurden durch Vorlesen, Plaudern, Musik, Kartenspiel – Harnack legte leidenschaftlich gern Patiencen – und vor allem durch Einladungen gefüllt; das erhaltene G?stebuch bewahrt die Preu?ische Staatsbibliothek in der Potsdamer Stra?e. Eingeladen wurde aus dem gro?en Freundeskreis. Neben den genannten Nachbarn war man natürlich mit theologischen und sonstigen Universit?tskollegen wie dem Althistoriker Theodor Mommsen verbunden, aber beispielsweise auch mit dem Generaldirektor der Staatlichen Museen und seiner Frau, jeden zweiten Mittwoch abends versammelte sich das sogenannte ?Kr?nzchen“, oft erschien auch der Bruder Otto Harnack, der als freier Schriftsteller in der Derfflingerstra?e 27 lebte. Alle vierzehn Tage wurden Studenten, sp?ter auch Studentinnen eingeladen, die Harnack früh integrierte. Ein Student schreibt: ?Wie gerne denke ich zurück an die herrlichen Abende, da wir auf der Veranda sa?en, überstrahlt vom roten Schein der Lampe, hinausblickend in die d?mmernde Nacht, in der das Brausen der Riesenstadt fernhin verklang. Wie wir da ihren Worten lauschten, alle einig in den gro?en, begeisternden Gedanken und doch jeder schon die Anf?nge der eigenen Individualit?t tragend“ (232).

Neben die Geselligkeit trat die Arbeit: Morgens begann Harnack zun?chst mit einer Zigarre in der Hand die Post durchzuarbeiten, schon hier in der Fasanenstra?e im Wochendurchschnitt fünfundsiebzig Zuschriften, die eine Antwort erforderten (282). Dann wurde, falls die zunehmende ?mterfülle nicht Anwesenheit in der Stadtmitte erforderlich war, gearbeitet, durch gelegentliche Pausen und einen Nachmittagsspaziergang unterbrochen. Harnack schlo? in den zehn Jahren, die er in der Fasanenstra?e lebte, fünfhundertsiebzig Bücher, Aufs?tze und Rezensionen ab, darunter einen Grundri? der Dogmengeschichte, eine altchristliche Literaturgeschichte in vier B?nden, eine Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums, zwei Aufsatzb?nde, diverse Abhandlungen der Preu?ischen Akademie der Wissenschaften und eine dreib?ndige Geschichte der Einrichtung, allerlei allgemeinverst?ndliche Schriften und Zwischenrufe zu allerlei 三亿体育·(中国)官方网站 von ?ffentlichem Interesse, beispielsweise zur Sprachenfolge am Gymnasium. Das Arbeitszimmer stand den Kindern offen, die dort an einem gro?en Tisch die Hausaufgaben anfertigten; zwei weitere Kinder wurden 1892 und 1895 geboren.

Geselligkeit und Arbeit – mit diesen beiden Begriffen ist der Haushalt in der Fasanenstra?e einigerma?en recht charakterisiert. Da? beides nebeneinander seinen Platz hatte, verwundert heute, wie es damals verwunderte. ?Neulich hat eine Dame in Berlin gesagt, das Wesen des Christentums h?tte auf sie einen gewissen Eindruck gemacht, der aber sei verfolgen, da sie in Sylt mich beobachtet habe; mit Abscheu habe sie beobachtet, da? ich heidnischem Wohlleben verfallen sei – sie habe mich n?mlich einen Hummer essen und Sekt trinken sehen! Den Sekt hat sie dazu gemacht; der Hummer ist richtig. Zu bedauern habe ich nur, da? ich nur einmal in Sylt Hummer gegessen und damit eine sch?ne Gelegenheit verpa?t habe. Die ganze Geschichte sehe ich aber als Strafe dafür an, da? ich Hummer ohne Sekt genossen habe“ (Harnack an Holl, nach Zahn-Harnack, 245).


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t