Verleihung der Diplomurkunde und der Ehrendoktorwürde an Wolf Biermann
Gru?wort am 7. November 2008
"Ach du, ach das ist dumm:/ Wer sich nicht in Gefahr begibt/ - der kommt drin um". Renitenz oder gar Widerstand - sehr verehrter Herr Thierse, sehr geehrte Abgeordnete von Bundestag und Abgeordnetenhaus, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, zuletzt und besonders aber: verehrter, lieber Wolf Biermann: Renitenz oder gar Widerstand waren rar in der zweihundertj?hrigen Geschichte dieses Hauses. Ein Professor dieser Universit?t fand, da? die Juden unser Unglück sind und viele seiner Kollegen haben diesen Satz unterschieben und weit Schlimmeres mehr getan; die Bücher, die man auf dem Opernplatz vor dem Hauptgeb?ude verbrannte, haben Studierende dieser Universit?t in den Buchhandlungen und Bibliotheken dieser Stadt gesammelt und übersichtlich zwischen Oper und der damaligen Aula aufgeschichtet. Solche Beispiele sind leider viele, allzu viele: Renitenz oder Widerstand waren rar in der zweihundertj?hrigen Geschichte. Unrecht dagegen war viel. Solches, zu dem man bequem hinter dem Katheder stehend aufrief, Unrecht, da? man am Schreibtisch sitzend akribisch plante, Unrecht, da? man vom H?rsaal aus vorbereitete. Unrecht, da? an Studierenden dieser Universit?t begangen wurde, beispielsweise durch Relegation derer, die hier 1968 gegen "Lieder vom Frühling im roten Prag" sangen.
An dem Studenten der Philosophie und politischen ?konomie Wolf Biermann ist durch diese Universit?t Unrecht begangen worden, weil er zu der kleinen Gruppe derer geh?rte, die sich renitent oder gar widerst?ndig verhalten haben. Was noch keine Diktatur gern sah. Biermann selbst hat sehr pr?zise beschrieben, was genau geschah, den, wie er sagt, "banalen Skandal": "Als ich 1963 die Prüfungen im Hauptfach Philosophie und im Nebenfach Mathematik absolviert hatte, verbot die oberste Obrigkeit im ZK der SED ihren Genossen an der Fakult?t in der Humboldt-Universit?t, dem rebellischen Biermann das Diplom auszuh?ndigen". Genauso steht es in der Studentenakte, die glücklicherweise über die Zeitl?ufte gekommen ist, weil es eine Anweisung von oben gab, sie nach Ablauf der gew?hnlichen Zeit nicht zu vernichten: Dort fand ich, als ich vor einem reichlichen Jahr darin bl?tterte, nicht nur das Original jenes Diploms, ohne Unterschrift und mit einem Zettel: "Nicht aush?ndigen", sondern mancherlei Schriftverkehr, Zeugnisse und Beurteilungen über den rebellischen Biermann. Diktaturen pflegen bekannterma?en die Renitenten und Widerst?ndigen, pflegen die Rebellen als p?dagogisches oder juristisches Problem zu banalisieren, als den st?rrischen Wolf, der sich nun einmal nicht in die Gruppe, in den Zwang zur Gruppe fügen wollte und will. Schreckliche Texte einer Universit?tsp?dagogik, der vom heeren Bildungsideal der Brüder Humboldt nur noch die Worte, blo?e Programmformeln und zwei Standbilder vor dem Haus Unter den Linden geblieben sind. Wie hei?t es so sch?n in unserem Foyer: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu ruinieren. Und beim Ruinieren haben auch die Philosophen kr?ftig mitgeholfen.
Von solchen Philosophen mu? man natürlich einige ausnehmen. Volker Gerhardt beispielsweise, dem wir die Initiative für diesen Festakt verdanken und dem ich sehr, sehr herzlich dafür danken m?chte. Wie gesagt: Von solchen Philosophen mu? man natürlich einige ausnehmen. Und einen Philosophen dieser Universit?t ganz besonders. Einen mindestens. Auch darauf hat Wolf Biermann schon hingewiesen im Vorfeld des heutigen Tages: Wolfgang Heise, wie Biermann aus einer jüdischen und kommunistischen Familie, Student an der wiederer?ffneten Universit?t im Jahre 1946, seit 1952 Dozent am Institut für Philosophie und als solcher Biermanns Lehrer. "Klugheit, Redlichkeit und Tapferkeit" bescheinigen ihm seine Studenten und wenn es an dieser Universit?t Renitenz und Widerstand gab, nicht nur Lumpen, sondern auch Rebellen, dann, weil es akademische Lehrer wie Wolfgang Heise gab. Und Mitstudenten im Geiste. Heinrich Heine beispielsweise, der hier ebenfalls studierte, von 1821 bis 1823, "meinen Cousin/ Den frechen Heinrich Heine" - von ihm wird gewi?lich Klaus Briegleb sprechen, Heines kluger Editor, der wie kaum ein anderer berufen ist, über beide Cousins zu sprechen, den nach Paris emigrierten Dichter und seinen einst aus Berlin, aus der Chausseestra?e vertriebenen Dichter, weil Briegleb zugleich grundsolide ediert und anregend provoziert, den beiden Cousins darin im Geiste nah. Den beiden frechen Cousins - zwei wunderbar renitenten, widerst?ndigen Studenten dieser Universit?t, gerade so frech, rebellisch und renitent, wie sich vor zweihundert Jahren die Gründer dieser Universit?t ihre Studenten (und die Professoren) wünschten. Lichte, bunte, sommerliche Augenblicke mitten in "Deutschland, ein Winterm?rchen". Und bei solchen pr?chtigen Studenten verbietet sich, meine Damen und Herren, eigentlich die neugierige Frage, ob der Student von damals und der Ehrendoktor von heute wohl noch dasselbe denken über Welt und Leben - nur wer vor den stets gleichen Adlern auf der Weidendammer Brücke, "da, wo die Friedrichstra?e sacht/ Den Schritt über das Wasser macht",? nicht immer dasselbe denkt und dichtet, nur wer sich ?ndert, bleibt sich treu.
Lieber Herr Biermann, natürlich sind wir heute alle bewegt, wenn nach fünfundvierzig Jahren ein Student dieser Universit?t endlich sein Diplom ausgeh?ndigt bekommt - wie sollte das auch anders sein, wenn das M?rchen einmal wahr wird und die Lumpen einmal nicht triumphieren in dieser Welt, in der sie so oft und so laut triumphieren. "Warte nicht auf bess're Zeiten". Mich hat am st?rksten die Formulierung bewegt, mit der Sie jüngst beschrieben, was wir, was die Humboldt-Universit?t empfindet, wenn Sie Ihnen dieses Diplom überreicht: "Dieser formelle Akt wird nun, immerhin 45 Jahre sp?ter, mit einem traurigen Augenzwinkern nachgeholt". Verliebte zwinkern sich zu, natürlich auch die Renitenten, Widerst?ndler und Rebellen, verschw?rerisch ist das Augenzwinkern. Manchmal auch einfach nur unbewu?t. Und wer krank ist, zwinkert mit den Augen. Ja, und wohl eben auch die, die traurig sind über das Unrecht, erschüttert sind von den Ausma? der Verwicklung ins Unrecht an dieser Universit?t - die zwinkern mit dem Augen, weil sie den Lumpen doch noch einmal ein Schnippchen schlagen k?nnen. Mehr ist's nicht. Ein Schnippchen. Trauer bleibt. Aber ein Schnippchen, das ist es immerhin. Ein Schnippchen in einer Gesellschaft, in der für viele nur das Schn?ppchen z?hlt. "bat ich lang' das sch?ne st?rrige Adamsrippchen,/ mir zu einem kusz einmal zu leihn ihr lippchen./ als ich wiederholentlich gebeten hatte,/ gab sie erstlich statt des kusses mir ein schnippchen". Also, meine Damen und Herren: Es kommt es darauf an - k?mmt es darauf an, um die Anspielung auf den Berliner Studenten der Rechtswissenschaften noch etwas deutlicher zu machen -, den Lumpen ein Schnippchen zu schlagen, mit Zeigefinger und Daumen. Und dabei mit den Augenbrauen mindestens ein klein wenig renitent zu zwinkern. Und das tun wir jetzt, wenn wir Wolf Biermann mit erheblicher Versp?tung sein Diplom überreichen und zum Ausgleich für die lange Wartezeit auch gleich noch den n?chsten akademischen Grad verleihen, der gew?hnlich auf das Diplom folgt. Vielen Dank für ihre Geduld.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t