Absolventenfeier der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakult?t
Ansprache am 31. Oktober 2008
In der gegenw?rtigen Finanzkrise, verehrter Herr Senator, Spectabilis, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren und liebe Studierende, vor allem aber: liebe Absolventinnen und Absolventen, - in der gegenw?rtigen Finanzkrise greifen viele, die sich für Experten halten - und leider auch solche, die Experten sein sollten, zu altv?terlichen Theorien, die man l?ngst für überwunden hielt. Der Pr?sident einer Universit?t, in deren Eingangshalle auf rotem schlesischen Marmor ein Zitat von Karl Marx befestigt ist, ist für solche Entwicklungen vielleicht sensibler als manche seiner Kollegen, ein Finanzsenator, der eine erfolgreiche, aber eben nicht ma?lose Privatisierung bestimmter bislang ?ffentlich erledigter Aufgaben bef?rdert hat, ist gewi? sensibler als manche seiner Kollegen und Sie, liebe Angeh?rige dieser Fakult?t nun ganz gewi? - Finanzkrisen zu analysieren und pr?zise, nicht simplifizierende Vorschl?ge zu ihrer Pr?vention wie zu ihrer L?sung zu machen, ist ihres Amtes. Nicht meines. Ich sollte nur vermeiden, da? die Humboldt-Universit?t zu Berlin in eine Finanzkrise rutscht und Forderungen nach Mittelzuweisung sind selbstverst?ndlich - wer wollte Ihnen da widersprechen, verehrter Herr Senator - nur ein Teil bei der L?sung der altbekannten Probleme.
Und doch m?chte ich anl??lich Ihrer Absolventenfeier ein Wort zur gegenw?rtigen Krise sagen. Wenn pl?tzlich "Vertrauen" zu einem Schlüsselbegriff wird, w?re es merkwürdig, wenn ein Theologe sich gar nicht angesprochen fühlte und das am Gedenktag der Reformation. Zun?chst einmal besteht ja kein Zweifel, da? der selbst bei amerikanischen Pr?sidenten verbreitete Rückgang auf Strategien und Parolen bestimmter Altmeister auch einen Satz wieder zu Ehren zu bringen scheint, den Lenin gesagt haben soll: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!". Da bricht Vertrauen in die Banken und insbesondere in das entsprechende Management zusammen, viele üben sich in Generalschelte und erschüttern das Vertrauen zus?tzlich. Und eine Regierung hat alle H?nde voll zu tun, um Vertrauen wieder herzustellen. "Kein Vertrauen, nirgends", titelte die Wirtschaftswoche vor zwei Wochen,
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser": Vermutlich wissen einige von Ihnen, da? - wie so oft, übrigens auch bei Luthers Wendung vom Apfelb?umchen - die Redewendung im erhaltenen ?uvre, das vor zwanzig Jahren noch massenhaft in braunen Umschl?gen gebunden in den Buchhandlungen auslag, gar nicht nachgewiesen werden kann. Vergleichbare Formulierungen finden sich freilich - so in einem 1914 verfassten Aufsatz "?ber Abenteurertum". Dort hei?t es: "Nicht aufs Wort glauben, aufs strengste prüfen - das ist die Losung der marxistischen Arbeiter". Au?erdem konnte man in der Rubrik "Stimmt's?" der Wochenzeitung "Die Zeit" nachlesen, da? Lenin auch das das russische Sprichwort "Vertraue, aber prüfe nach" (Dowerjai, no prowerjai) gern und h?ufig gebraucht hat. Das russische Wort "prowerjai" kann man auch mit "kontrollieren" statt "prüfen" übersetzen, so da? man für die Sch?pfung des uns so vertrauten "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" vermutlich wieder einmal die Presse verantwortlich machen kann.
In einem der vielen Zeitungsbeitr?ge über die gegenw?rtige Vertrauenskrise aus der Feder eines klugen Wirtschaftswissenschaftlers las ich die lakonische Feststellung, da? man Vertrauen nicht kaufen k?nne: "Vertrauen hat wohl in manchen Zusammenh?ngen auch einen finanziellen Wert. Und dieser Wert kann, wie wir sehen, sehr hoch sein. Aber Vertrauen hat keinen Preis. Sie k?nnen Vertrauen nicht kaufen, ebenso wenig, wie Sie Liebe oder Zuneigung kaufen k?nnen. Da müssen Sie schon liebenswürdig sein". Kontrolle kann man kaufen. Eine Universit?t kann sich beispielsweise Ma?nahmen der Qualit?tskontrolle einkaufen, wenn sie denn selbst zu solcher Kontrolle nicht in der Lage ist - sollte dann sogar fremde Hilfe einkaufen. Vertrauen kann dagegen zun?chst einmal mit Kompetenz und Kommunikation aufgebaut werden - indem man gegen die alt-neuen apokalyptischen Propheten des Weltunterganges auftritt, gegen die neue Weltreligion der Angst, wie das ein Berliner Kollege jüngst in einer Zeitung genannt hat. Sie, die Absolventinnen und Absolventen dieser Fakult?t, verfügen über das notwendige Wissen, um sachgerecht zu informieren und wieder für Vertrauen zu werben. Sie haben in diesem Haus, das von Jahr zu Jahr ein wenig sch?ner wird, bei akademischen Lehrern studieren k?nnen, die über Risiko und Risikomanagement forschen, die über das ethische Ideal des "ehrbaren Kaufmanns" nachdenken, um einem Vertrauensverlust der Akteure des marktwirtschaftlichen Systems entgegenzuwirken. Und sie wissen, da? auch heute noch gilt, was der Getreideh?ndler Johann Buddenbrook seinen Nachfolgern in der Firmenleitung als Motto überliefert: "Mein Sohn, sey mit Lust bey den Gesch?ften am Tage, aber mache nur solche, da? wir bey Nacht ruhig schlafen k?nnen".
Vertrauen, meine Damen und Herren, mu? gewagt werden. Und wird, wenn Sie dem Theologen den Ausflug in die Reformationsfestpredigt gestatten, gelegentlich von h?chster Stelle gratis gewagt. Zu Wagnis kann man ermuntern, wenn es kalkulierbar ist - Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen, haben dieser Fakult?t und dieser Universit?t Vertrauen entgegengebracht, als Sie hier ein Studium aufnahmen. Wir haben Ihnen in den Examina vertraut, da? das Niveau Ihrer Leistungen und Kenntnisse überall so hoch ist, wie in den Ausschnitten, die Gegenstand der Prüfung waren. Und heute, an diesem festlichen Tage, wünsche ich Ihnen natürlich nicht nur, da? Sie das Vertrauen anderer stabilisieren. Sondern ich wünsche ich Ihnen die Portion Vertrauen in Ihre eigene Zukunft, mit der sich Leben meistern l??t. ?brigens auch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, innerhalb einer Universit?t und natürlich, lieber Herr Senator, in einer Stadt. Und so besehen, gilt dann auch die Umkehr des berühmten Satzes: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t